Gegessenwerden   Nehmen wir St. Bernhards Wort. Wenn wir leibliche Speise essen, so kauen wir zuerst, und dann sinkt sie sanft nieder in den Leib. Was ist dieses Kauen? St. Bernhardus sagt: „Wenn wir Gott essen, so werden wir von ihm gegessen, so ißt er uns." Wann ißt Gott uns? Das tut er, wenn er in uns unsre Fehler straft und unsre inwendigen Augen auftut und uns unsre Fehler zu erkennen gibt; denn sein Essen, das Beißen und Kauen ist das strafende Gewissen: wie man die Speise im Munde um und um wirft, so wird der Mensch in dem Strafen Gottes hin und her geworfen in Angst und Furcht, in Traurigkeit und großer Bitterkeit, und weiß nicht, wie es ihm ergehen wird.

Liebes Kind, leide dich darin und laß Gott ruhig essen und kauen, geb nicht davon und kaue nicht selbst kräftig, derart, daß du dies Strafen etwa damit vertreibst, daß du sofort hinausläufst zu einem Beichtiger. Und dann dünkt dich, es sei alles getan in dir, nur damit du dich dieses Strafens erwehrest. Nein, beichte zuerst Gott, und fange nicht irgendwie mit deinen Satzungen, deinen gewöhnlichen Gebetlein an. Sondern sprich mit einem innerlichen Seufzen von Grund deines Herzens: „Eya, Herr, erbarme dich über mich armen Sünder," und bleibe bei dir selbst, sieh, das ist dir tausendmal besser als wenn du wunder was läsest oder tätest, womit du dem entgingest. Aber hüte dich dabei, daß der Feind nicht mit ungeordneter Traurigkeit da-zwischenschlage. Er bringt gern einen bösen, sauren Senf darein. Unsres Herrn Senf dagegen ist süß und gut; nach seinem Strafen kommt eine süße Besänftigung des Gemütes, ein liebliches Vertrauen und eine gütige Zuversicht mit heiliger Hoffnung.

Dann verschlingt dich Gott. Wenn die Speise wohl gekaut ist, so geht sie sanft ein und sinkt so niederwärts in den Magen: also auch, wenn du so im Gewissen wohl gekaut bist (und doch mit einer göttlichen, eh es zu der Natur kommt. Und wenn der Magen es dann so gekocht und verdaut hat mit der natürlichen Hitze, so kommt eine oberste Kraft der Seele, die Gott dazu verordnet hat, und verteilt es ringsherum an das Haupt, das Herz und an jedes Glied, und so wird es Fleisch und Blut, und letzteres geht durch die Adern. Gerade so geht es mit dem Leibe unsres Herrn. Wie die leibliche Speise in uns verwandelt wird, so wird auch, wer die würdige Speise ißt, in sie verwandelt. - Johannes Tauler, nach (lte)

 

Essen Passivität

 

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