Gegenbesuch   Eines Tages ist Marcos mit einem andern Burschen von der Stadt heimgegangen, und um die Straße abzukürzen sind sie auf einem Pfad mitten durch den Wald gegangen. Und auf einer kleinen Lichtung haben sie gesehen, daß dort ein Totenkopf im Gesträuch hängt.

Und Marcos ist stehengeblieben und sagt zu dem Totenkopf: »Freund, wenn du einmal gut speisen willst, so komm doch morgen abend zu mir, und ich will dir ein gutes Mahl vorsetzen.« - »Ja«, sagt der Totenkopf, »richte gut und reichlich her, denn ich werde noch einen Toten mitbringen.« Als Marcos und sein Gefährte das gehört haben, da sind sie schnell davongerannt, denn die Geschichte war zu unheimlich. Und wie sie heimgekommen sind, ist Marcos gleich in die Kirche gegangen und hat viel gebetet.

In der Nacht aber ist ihm im Traum sein Patron erschienen und hat gesagt: »Marcos, du bist ein leichtfertiger, aber kein schlechter Bursche. Und deshalb will ich dir helfen, wenn du auch immer den Armen hilfst, wie du es bisher getan hast. Richte also morgen abend ein Mahl für vier Personen. Das Weitere wird sich finden.«

Am nächsten Tag hat Marcos das Mahl gerichtet, und bei Anbrechen der Dunkelheit hat er gesehen, daß bereits jemand am Tisch sitzt. Und da hat er in dem Mann, der da sitzt, seinen heiligen Patron erkannt.

Um Mitternacht aber hat jemand sehr laut dreimal an die Tür geschlagen. Und wie Marcos aufmacht, da sieht er draußen zwei Gestalten: einen Toten nur aus Knochen und einen Toten, der halb verwest ist.

Er hat ihnen Platz angeboten und die Speisen aufgetragen. Und wortlos haben die beiden Toten gegessen und getrunken. Und als sie fertig waren, hat der eine Tote, der nur noch aus Knochen bestand, gesagt: »Frecher Mensch, du hast uns eingeladen. Guter Mensch, du hast uns anständig bewirtet. Nun laden wir beide Toten dich ein für morgen abend zum Mahl. Sei pünktlich an der Stelle, wo wir uns begegnet sind und du mich eingeladen hast, sonst kommen wir dich holen.« - »Nun«, sagt Marcos, »ich werde kommen. Aber da du einen Gefährten mitgebracht hast, darf ich dann auch einen Freund mitbringen?« - »Wenn du einen Freund findest, der es wagt, um Mitternacht zu den Toten zu gehen, so bringe ihn ruhig mit! Aber wehe euch, wenn ihr nicht mit dem zufrieden seid, was es zu essen gibt!« Und damit sind die beiden Toten gegangen. Marcos hat gezittert vor Angst, aber sein heiliger Patron hat gesagt: »Fürchte dich nicht! Morgen abend werde ich kommen und dich abholen! Laß mich nur machen und tu in allem genau so wie ich!«

Marcos hat die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Und am nächsten Tag ist er wieder in die Kirche gegangen, und zu Mittag hat er - wie schon oft - alle Armen bewirtet. Als es am Abend dunkel geworden ist, steht der Heilige mitten im Haus und sagt: »Nun, Marcos, in Gottes Namen, gehen wir!«

Und sie sind hinaus in den Wald gegangen, wo der kürzere Pfad führt. Und wie sie zu der Lichtung gekommen sind, da sieht Marcos, daß da ein Tisch steht, und auf dem Tisch eine Fackel. Und der Tote und der Halbverweste sitzen schon dort, und viele andere Toten stehen im Kreis herum. Und der Tote sagt: «Setzt euch her zu uns!«

Und nachdem sich der Marcos und sein heiliger Patron gesetzt haben, kommen Tote herzu und bringen Platten mit stinkigem Fleisch, Menschenfleisch, und dazu Becher mit einem stinkenden Getränk, Menschenblut.   - Märchen aus Mexiko. Hg. Felix Karlinger und Maria Antonia Espadinha. Düsseldorf u. Köln 1991 (Diederichs, Die Märchen der Weltliteratur)

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