Gefecht  Ihr Lieben Lieben! Die Welt braust. Mein Kopf mir ist alles platzt. Ich habe jetzt sechs schwere Gefechtstage hinter mir. Der furchtbarste war gestern der 13. Du hast mal gesagt man kann sich alles vorstellen. Du hast Recht. Alles. Aber vorstellen und das vorgestellte erleben das sind zweierlei. Vorstellen aber fühlen kann man es nicht. Ich bin nicht furchtsam. Ich habe keine Furcht gefühlt. Das war mir zu lächerlich kleinlich. Zum fürchten war alles zu furchtbar. Aber ein Grauen ist in mir ein Grauen ist um mich wallt wogt umher, erwürgt verstrickt, es ist nicht mehr rauszufinden. Entsetzlich. Ich habe kein Wort. Ich kenne kein Wort. Ich muß immer nur stieren, stieren um mich stumpf zu machen. um all das Ge- peitschte niederzuhalten. Denn ich fühle es, ich fühle es ganz deutlich das das peitscht und krallt nach meinem Verstand. Gott sei Dank, daß ich roh bin daß ich so viel Rohheit in mir habe. physische Rohheit die ich sonst immer niederhalte, jetzt soll sie kommen, jetzt rufe ich sie, und klammre mich daran. Hast Du schon mal einen Fleischerladen gesehen, in dem geschlachtete Menschen zu Kauf liegen. und dazu stampfen mit ungeheurem Ge- töse die Maschinen und schlachten immer neue in sinn- reichem Mechanismus. Und Du stumpf darin gottlob stumpf Schlächter und Schlachtvieh. Und schwarze Teu- fel stampfen allenthalben urplötzlich aus dem Boden die Schlächtergesellen die Granaten. und schwefelgelbe [...] laufen dazwischen für die Kleinarbeit die Schrapnells, geschäftig hin und her. Und die kleinen Wiegemesser zischen und klippen unaufhörlich dazwischen geschäftig, eilig, heftig, das Gewehrfeuer. Gestern riß so ein Schlächtergeselle meinen Nebenmann mit einem einzi gen Griff in Fetzen und überschüttete mich hohnlachend mit Blut und Fleisch und Dreck. Laß genug, genug sein. Gestern abend wurden wir aus der Waldstellung abgelöst. in der wir seit drei Tagen gelegen und uns verschanzt hatten. Jetzt sitzen wir wieder in einem Zimmer aber die Musik geht immer noch weiter sie hat die Ohren noch nicht verlassen. Und in Wirklichkeit ist sie auch noch da. Vorgestern nacht sind 60 Granaten hier in das Dorf geschlagen und ihre Spuren sind überall. Auf Wiedersehen Euer August Stramm  

Granaten

Das Wissen stockt
Nur Ahnen webt und trügt
Taube täubet schrecke Wunden
Klappen Tappen Wühlen Kreischen
Schrillen Pfeifen Fauchen Schwirren
Splittern Klatschen Knarren Knirschen
Stumpfen Stampfen
Der Himmel tapft
Die Sterne schlacken
Zeit entgraust
Sture weltet blöden Raum.

- Brief von August Stramm an Nell und Herwarth Walden vom 14. 2. 15, nach: August Stramm Lesebuch, Hg. Wolfgang Delseit. Köln 2007


Krieg


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