efängnis  Sie war sich bewußt, daß sie zu früher Morgenstunde in gänzlicher Einsamkeit nackt sei und den Stein vor sich habe, der, durch die Lupe vergrößert, zu etwas wie einem riesigen, blaß azurn getönten Eisblock wurde. ›Ein Eisschloß‹, dachte sie und folgte mit dem Blick den Konturen und Kanten, deren Schnitt sich ausnahm wie vorspringende Festungsbastionen. Sie dachte des weiteren, es sei ›die Vollkommenheit an sich‹, nichts Totes, sondern etwas Lebendiges oder doch zumindest Belebtes (durch ebendiese Vollkommenheit), und sie gelangte dazu, daß sie sich fragte, wo im Grunde das Objekt sei und wo der Richter oder der Zeuge bei dieser morgendlichen Gegenüberstellung eines nackten Mädchens und eines sehr seltenen Steines. Dann, wer weiß, wie es geschah, tat sie wohl eine falsche Bewegung, ihre Füße rutschten auf dem Fußboden aus, und ihr Kopf schlug auf den Tisch; ihr war, als dringe die Lupe ihr ins Auge, und sie verlor (wahrscheinlich) das Bewußtsein.

Sogleich kam es ihr wieder. Sie sah sich in eine Art Zelle mit durchsichtigen Wänden eingeschlossen, die in der Form eines regelmäßigen Polyeders gebaut worden war. Sarah stand auf (sie war hingeplumpst wie ein Sack). Es kostete sie einige Zeit, einige Überprüfung der Stätte, einige Anspannung ihres Denkvermögens, um sich bewußt zu werden und sich alsdann die auf höchst absonderliche Weise unglaubhafte Tatsache einzugestehen, daß sie sich als Gefangene im Innern des Diamanten befand: ihr Sturz hatte sie jäh hineinversetzt.   - André Pieyre de Mandiargues, Der Diamant. In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische Bibliothek 323, zuerst 1959)

Gefängnis (2)   Gewöhnlich glauben die Leute an Land, der Seemann habe an Bord nichts zu tun als an der Reling zu stehen, über Bord zu spucken und sich „die Gegend" anzusehen. Die Wirklichkeit ist doch etwas anders. Die Schiffsdisziplin verlangt von jedem Mann, daß er immer, wenn er an Deck ist, mit irgend etwas beschäftigt ist, ausgenommen nachts oder Sonntags. Zu jeder andern Zeit wird man an Bord eines gut geführten Schiffes niemals einen Mann müßig herumstehen oder gar sitzen sehen. Es ist Pflicht des Wachoffiziers, jeden an der Arbeit zu halten. In einem Staatsgefängnis werden die Gefangenen nicht mehr zur Arbeit angetrieben und nicht schärfer bewacht. Unterhaltung in der Arbeitszeit ist nicht erlaubt. Obwohl sich die Matrosen in der Takelage häufig unterhalten, oder wenn sie an Deck nahe beieinander stehen, so brechen sie doch sofort ab, wenn der Steuermann in der Nähe ist. - (dana)

Gefängnis (3)  Dieser Thomas Sharp war schon lange vorher ein alter Bösewicht gewesen, ehe er noch die Mordtat, um welcher willen er den Tod leiden mußte, begangen; und war achtzehnmal in Newgate gewesen, welches abscheuliche Gefängnis genug ist, jedermann von allem Bösen abzuschrecken, wenn man nur daran gedenket, daß es ein Ort des Elends ist, eine Wohnung in mehr als mitternächtiger Finsternis, ein Haus der Trübsal, ein konfuses Chaos ohne Unterschied, eine grundlose Grube der Gewalttätigkeit und ein Turm zu Babel, worinnen alle reden, niemand aber den andern verstehet. Hier ist eine Vermischung des Edlen mit dem Unedlen, des Reichen mit dem Armen, des Verschmitzten mit dem Einfältigen und der Bußfertigen mit den ärgsten Übeltätern. Es ist das Grab des Adelsstandes, die Verbannung der Höflichkeit, ein Gift der Ehre, der Mittelpunkt aller Schande, die Quintessenz aller Beschimpfungen, die Zerstörung des Verstandes, ein Fallstrick der Einbildungen, ein Paradies des Betrugs, eine Hölle der Anfechtung, eine Verdunkelung der Wahrheit, eine Schatzkammer der Verzweiflung, ein Zuflucht-Haus der Rache und eine Grube der Füchse. Hier ist derjenige, so gestern groß war, heute klein; derjenige, so gestern satt war, heute hungrig; derjenige, so gestern herrlich bekleidet, heute fadennackigt; derjenige, so gestern zu befehlen hatte, muß heute hier gehorsam sein; und der, so in einem weichen Bette lag, muß auf harten Brettern und kalten Steinen schlafen. Hier hat sich die Bescheidenheit in Vermessenheit, die Tapferkeit in Arglistigkeit, die Schmeichelei in Beredsamkeit, die Lüge in Wahrheit, die Blödigkeit in Kühnheit, die Wissenschaft in Unwissenheit und die Ordnung in Unordnung verwandelt. Hier weinet einer, derweil der andere singet; einer betet, derweil der andere fluchet; einer schlafet, derweil der andere wachet; einer gehet hinaus, der andere hinein; einer wird verurteilet, der andere losgelassen; einer mahnet, der andere bezahlet: Kurz, man wird hier schwerlich zwei Personen von einerlei Gedanken und Verrichtung antreffen. Der Hunger ist hier der beste Koch; ihre Tischzeit, wenn sie was haben; ihre Tafel der Boden; ihre Tunke der unreine Gestank von den Wächtern; und ihre Musik nichts als Schnarchen, Niesen, Rülpsen. Die Vorhänge ihrer Gemächer haben eine beständige Trauer und sind mit großen Spinnegeweben verbordieret; ihre Stühle sind der Boden; und sie leben apostolisch, das ist, ohne Taschen, ohne Stab und ohne Schuhe. Mancher ihre Kragen sind mit einem Stückchen Leinwand verbrämet, ein Halstuch abzugeben, in der Tat aber sind es nur die verzweifelten Relikte ihrer Hemden, die bei dem Halse herauskriechen; und viele von den Gefangenen haben ihre regulären Stunden, worinnen sie mit den Feinden ihrer Leiber fechten; ungeachtet aber sie das Blut dieses Ungeziefers, welches sie mit ihren Nägeln totschlagen, gleichsam im Triumph davontragen, so erhalten sie doch nimmermehr über dasselbige den völligen Sieg. - (spitz)

Gefängnis (4) Die Zähne sind die bewaffneten Hüter des Mundes. In diesem Raum ist es wirklich eng, er ist das Urbild aller Gefängnisse. Was da hineingerät, ist verloren; vieles gerät noch lebend hinein. Eine große Zahl von Tieren tötet seine Beute erst im Maul, manche nicht einmal dort. Die Bereitwilligkeit, mit der Maul oder Mund sich öffnen, wenn sie nicht überhaupt schon offen auf der Lauer sind, die Endgültigkeit, mit der sie, einmal zugemacht, geschlossen bleiben, erinnert an die gefürchteten Haupteigenschaften des Gefängnisses. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß eine dunkle Beeinflussung dieser durch das Vorbild des Mauls wirklich stattgefunden hat. Bestimmt gab es für die frühen Menschen nicht nur Walfische, in deren Maul sie Platz genug hatten. An diesem furchtbaren Orte kann nichts gedeihen, auch wenn man Zeit hätte, ihn zu bewohnen. Er ist verdorrt und verbietet die Saaten. Als man das Maul und die Drachen beinahe ausgerottet hatte, fand man einen symbolischen Ersatz dafür: die Gefängnisse. Früher, als sie noch Folterkammern waren, glichen sie dem feindlichen Maul bis in viele Einzelheiten. Die Hölle sieht heute noch so aus. Die eigentlichen Gefängnisse dagegen sind puritanisch geworden: die Glätte der Zähne hat die Welt erobert, die Wände der Zellen sind eine einige Glätte, und nur sehr gering ist die Luke für Licht. Freiheit ist für den Gefangenen aller Raum jenseits der zusammengepreßten Zähne, für die jetzt die kahlen Wände einer Zelle stehen. - (cane)
 
 

Fangen Strafen

 

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Verwandte Begriffe
KäfigFreiheit
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Knast