Gefährtin  Eines Morgens erwachte ich von einem Zug stechender, übler Luft. Als ich mich umblickte, befand sich die Frau meines Bruders nicht mehr neben mir und auch nicht in unserem einzigen Zimmer. Augenblicklich befiel mich ein starker Brechreiz, ich sprang vom Lager, um rechtzeitig das Bad zu erreichen. Als ich dort durch die schmale Tür stürzte, hielt mich ein gewaltiges Entsetzen an. Das Wesen, dem ich durch die beglückendsten Tänze verbunden war, empfing mich, auf das fürchterlichste verändert, in einem Zustand unvorstellbarer Besudelung und Erniedrigung. Es lag träg in der zur Hälfte mit Kot gefüllten Wanne und erbrach sich fortwährend über die eigene Brust. Es sah mich mit einer entseelten, scheinbar grienenden Fratze an, es lallte aus dunkel rinnendem Mund etwas, das ich nicht verstand - und dies waren überhaupt die ersten Laute, die ersten Worte, die ich von meiner Gespielin vernahm. Von grausigem Ekel ergriffen, stürzte ich blindlings davon, rannte zur Haustür, nur fort aus diesem dreckigen Chalet, diesem mörderischen Gestank. Doch die Tür war seit meiner Ankunft versperrt, der Schlüssel achtlos verlegt. Ich lief zur Fensterfront, riß die Vorhänge zurück, doch anstelle einer Jalousie war dort eine dichte Stahlplatte heruntergelassen, die gegen Luft, Freiheit und Licht uns nun abriegelte, den kotigen Dämon und mich. Es schnürte mir die Kehle zu, ich glaubte, jeden Augenblick ersticken zu müssen in dieser ätzenden, verseuchten Gefangenschaft. Schon halb besinnungslos, taumelte ich zurück in den Baderaum, stolperte dort über leere Behälter, Chemiecontainer, in denen die Spiel-Brüchige offenbar während all der feierlichen Tage ihren Abfall gesammelt und unter Verschluß gebracht hatte. Ich fiel zu Boden, und als ich mich umdrehte, sah ich, wie hinter mir die Frau sich in der Wanne aufrichtete und mich mit schwerem, verdorbenem Blick zu sich rief.     - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984
 

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