edichtgeburt
Der Verlauf ihres langsam absterbenden Körpers führt strengstens
nach unten. Sie ist entsetzt. Bald wird sie nicht mehr von Gedanklichem überflutet
sein, sondern von Madenhäufchen. Sie geht dem Erdboden jeden Tag ein Stück entgegen.
Macht kaum Geschirr schmutzig, außer für den Erich Holzfäller. Wenig Zeit! Ein
Gedicht könnte soeben zu entstehen wünschen. Sie will es.hebam-menhaft, nach
Frauenart, an den Armen ergreifen, damit andere davon ergriffen werden können.
In Worte fassen, ans Licht des Tages ziehen. Das ist alles. Eine schöne weibliche
Aufgabe, wie ein Kritiker abfällig schreiben würde, verstünde er diesen Vorgang.
Ihr Diktaphon liegt stets griffbereit, sogar unter dem Kopfpolster in der Nacht.
Die Kunst nimmt auf Tageszeiten keine Rücksicht. Und an anderen unvorhersehbaren
Plätzen sind Kassettenrekorder, immer geputzt und geladen, vor Nachforschungen
sicher versteckt. Jedes Wort, das aus ihr herausquillt, wird arretiert, abgeführt,
eingesperrt. Dann eventuell auf Flaschen gezogen. Es wird alles von diesem Bautrupp,
bestehend aus einer Frau in einem Jeansrock und mit Strickweste (alt, aber oho,
geschwind wie eine Sekretärin wenn es ans Horchen geht), zu einem Format zusammengeschoben,
einem spitzigen Steinhauf, der sich aus dem normalen Gehweg hervor dem Wanderfuß
entgegenreckt. Sie läßt das Gerät auch dauernd laufen wenn die Philosophenlehrlinge
zu ihr herschmachten kommen (über andere). Vielleicht springt einem von ihnen
einmal ein Wort heraus, das ihr in einem Gedicht aufs Rückgrat helfen könnte.
Diese Vordenker, an denen Etiketten hängen. Zu diesem Zweck werden sie eingeladen.
Und weil sie noch jung sind, also anders. Die alte Frau möchte die Welt noch
begreifen lernen, bevor sie unter ihr ruhen muß. - Elfriede Jelinek, Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr.
Reinbek bei Hamburg 1998
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