edicht,
unverständliches
Häufig höre ich von Leuten, denen ich meine Sachen zeige, daß
dies nun eigentlich keine Gedichte mehr seien, und sie glauben, damit das
entscheidende Urteil ausgesprochen zu haben. Sie sagen, das hier sei ja
alles einfach, man könne es ja verstehen, und das wiederum macht ihnen
meine Gedichte unverständlich. Diesen Vorgang finde ich witzig. Was soll
man da machen? Das Klischee, die ganze abstrakte Vorstellung vom «eigentlichen»
Gedicht noch einmal aufdecken? Es gibt kein anderes Material als das, was
allen zugänglich ist und womit jeder alltäglich umgeht, was man aufnimmt,
wenn man aus dem Fenster guckt, auf der Straße steht, an einem Schaufenster
vorbeigeht, Knöpfe, Knöpfe, was man gebraucht, woran man denkt und sich
erinnert, alles ganz gewöhnlich, Filmbilder, Reklamebilder, Sätze aus irgendeiner
Lektüre oder aus zurückliegenden Gesprächen, Meinungen, Gefasel, Gefasel,
Ketchup, eine Schlagermelodie, die bestimmte Eindrücke neu in einem entstehen
läßt, z. B. wie jemand seinen Stock schwingt und dann zuschlägt, Zeilen,
Bilder, Vorgänge, die dicke Suppe, die wem auf das Hemd tropft. Man schnieft
sie durch die Nase hoch und spuckt sie dann wieder aus. Das alte Rezept
und die neue Konzeption, bevor das Licht ausgeht, der Vorspann im Kino,
hier bin ich. - Rolf Dieter Brinkmann, Standphotos. Gedichte 1962
- 1970. Reinbek bei Hamburg
1980 (zuerst 1968)
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