Gedächtnismahl   Das gemeinschaftliche Essen ist eine sinnbildliche Handlung der Vereinigung. Alle Vereinigungen außer der Ehe sind bestimmt gerichtete, durch ein Object bestimmte, und gegenseitig dasselbe bestimmende Handlungen. Die Ehe hingegen ist eine unabhängige Totalvereinigung. Alles Genießen, zueignen, und assimiliren ist Essen, oder Essen ist vielmehr nichts, als eine Zueignung- Alles Geistige Genießen kann daher durch Essen ausgedrückt werden -. In der Freundschaft ißt man in der That von seinem Freunde, oder lebt von ihm. Es ist ein ächter Trope den Körper für den Geist zu substituiren - und bey einem Gedächtnißmale eines Freundes in jedem Bissen mit kühner, übersinnlicher Einbildungskraft,  sein Fleisch, und in jedem Trunke sein Blut zu genießen. Dem weichlichen Geschmack unserer Zeiten kommt dis freylich ganz barbarisch vor - aber wer heißt sie gleich an rohes, verwesliches Blut und Fleisch zu denken. Die körperliche Aneignung ist geheimnißvoll genug, um ein schönes Bild der Geistigen Meinung zu seyn - und sind denn Blut und Fleisch in der That etwas so widriges und unedles? Warhch hier ist mehr, als Gold und Diamant und die Zeit ist nicht mehr fern, wo man höhere Begriffe vom organischen Körper haben wird.

Wer weiß welches erhabene Symbol das Blut ist? Gerade das Widrige der organischen Bestandteile läßt auf etwas sehr Erhabenes in ihnen schließen. Wir schaudern vor ihnen, wie vor Gespenstern, und ahnden mit kindlichen Graußen in diesem sonderbaren Gemisch eine geheimnißvolle Welt, die eine alte Bekanntinn seyn dürfte.

Um aber auf das Gedächtnißmal zurück zu kommen - ließe sich nicht denken, daß unser Freund jezt ein Wesen wäre, dessen Fleisch Brodt, und dessen Blut Wein seyn könnte?

So genießen wir den Genius der Natur alle Tage und so wird jedes Mahl zum Gedächtnißmahl - zum Seelennährenden, wie zum Körpererhaltenden Mal - zum geheimnißvollen Mittel einer Verklärung und Vergötterung auf Erden - eines belebenden Umgangs mit dem Absolut Lebendigen. Den Namenlosen genießen wir im Schlummer. Wir erwachen, wie das Kind am mütterlichen Busen und erkennen, wie jede Erquickung und Stärckung uns aus Gunst und Liebe zukam, und Luft, Trank, und Speise Bestandtheile einer unaussprechlichen lieben Person sind.    - Novalis, Teplitzer Fragmente (1798)

 

Mahlzeit Erinnerung

 

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