astfreundschaft  Seleukos Kallinikos hatte in einer Schlacht gegen die Kelten alles verloren, sein Heer und seine Macht. Er riß sich also selbst den Königsreifen von der Stirn, irrte auf der Flucht mit drei oder vier Reitern durch unwegsame Einsamkeiten und kam endlich von Mangel und Not entkräftet zu einem Gehöft. Da er den Herrn selbst zufällig dort antraf, bat er ihn um Brot und Wasser. Dieser gab das Erbetene und alles, was der Hof bieten konnte, reichlich und freundlich her. Dabei erkannte er den König. In seiner Freude über das Zusammentreffen konnte er sich nicht beherrschen und das Geheimnis wahren, wie es der König gewahrt wissen wollte. Er begleitete ihn bis an den Weg und rief ihm zum Abschied die Worte zu: »Lebe wohl, König Seleukos!« Da streckte der König die Hand nach ihm aus und zog ihn zu sich, als wenn er ihn küssen wollte. In demselben Augenblick nickte er einem Begleiter zu, dem Mann mit seinem Schwert den Kopf abzuhauen, und

Schreiend noch rollte ihm schon das Haupt am Boden im Staube.

Hätte er geschwiegen und nur eine kurze Weile sich zu beherrschen vermocht, dann hätte er später, als der König wieder zu Macht und Ehren kam, gewiß größeren Lohn für sein Schweigen als für seine Gastfreundschaft geerntet.   - (plu)

Gastfreundschaft (2)  JOHNSON. «Lassen Sie sich nur nicht auf die sogenannte Gastfreundschaft ein, das ist Verschwendung von Zeit und Geld. Man frißt Sie auf, ohne daß Sie deswegen in der Achtung steigen. Sie können aus Ihrem Haus einen wahren Gasthof machen und dennoch bei den Leuten unten durch sein. Wer eine Woche lang bei einem andern zu Gast ist, macht den Betreffenden eine Woche lang zu seinem Sklaven.»

BOSWELL. «Es gibt aber Leute, bei denen sich die Gäste wie zu Hause fühlen, ohne dem Gastgeber im geringsten zur Last zu fallen.»

JOHNSON. «Wenn die Gäste sich wie zu Hause fühlen, hätten sie ja gleich zu Hause bleiben können.»  - (johns)

Gastfreundschaft (2)  »Du mußt du uns Gastfreundschaft gewähren für die Nacht,.« sprach Lorcán.

»Das will ich«, gab der König zur Antwort. Er gab ihnen einen Boten mit zur Begleitung in das Haus der wilden Krieger, im Fall daß diese sie auffressen wollten. Als sie zusammen dort eintraten, bogen sich die wilden Männer und heulten vor Freuden. Sie glaubten an Fionn und Lorcán einen guten Imbiß zu haben.

Eine abscheuliche Alte saß zusammengekauert in der Ecke - die Großmutter der wilden Schar -, und sie riß den Mund vor Lachen so weit auf, daß man ihr Herz und ihre Leber sehen konnte.

»Warum lacht ihr über uns?« fragte Lorcán.

»Nun«, meinte die Alte zu ihm, »lang ist's her, seitdem ein Paar erschien, an dem mehr Fleisch und Blut war als an euch. Aber seid ihr auch viel Fleisch, eure Suppe wird, unter uns verteilt, bald wenig sein.«

Da sah Lorcán sie alle an und faßte den ins Auge, der hinten am dicksten und an den Schenkeln am dünnsten war.

Er ergriff ihn bei den Schenkeln, zerteilte ihn bis auf die Fingerglieder und warf ihn den andern wilden Kriegern vor. So tötete er sie alle nacheinander mit Ausnahme von einem, der am Balken hochkletterte.

Lorcän befahl ihm, von oben herabzuspringen, um ihm dasselbe zuteil werden zu lassen wie den andern. Doch dieser bat ihn flehend und inbrünstig, ihn nicht zu töten; er versprach, ihm sein Lebtag gute Dienste zu leisten.

»Komm herunter zu uns, meiner Treu!« rief Lorcän, »und wirf uns hier diese Leichen hinaus!«

Er kam herab, warf sie hinaus und fegte und reinigte das Haus.

Nachdem er das besorgt hatte, packte ihn Lorcán an den Füßen und ließ es ihm wie all den andern ergehen. Denn, meinte er, nun brauche er seine Dienste nicht mehr. - (ir)

Gastfreundschaft (3) Wenn die Grenze zwischen Lebendigem und Leblosem, zumindest als oppositionelle Grenze, genauso unsicher ist, wie die zwischen "Mensch" und "Tier", und wenn innerhalb der (symbolischen oder reellen) Erfahrung des "Essen-Sprechen-Verinnerlichens" die ethische Grenze nicht mehr streng zwischen dem "Du sollst nicht töten" und dem "Du sollst Lebendiges im allgemeinen nicht töten" verläuft, sondern vielmehr zwischen mehreren, unendlich unterschiedlichen Arten von Empfängnis-Aneignung-Assimilierung des Anderen, dann würde, was das "Gute" jeglicher Moral betrifft, die Frage erneut daraufhinauslaufen, die beste, respektvollste und dankbarste, und auch freigiebigste Weise zu bestimmen, sich auf den Anderen und den Anderen auf sich selbst zu beziehen. Für alles, was sich am Rande der Öffnungen abspielt (der Mündlichkeit, aber auch des Ohrs und des Auges - aller "Sinne" im allgemeinen), würde die Metonymie des "wohl Essens" stets die Regel darstellen. Es geht nicht mehr darum, zu wissen, ob es "gut" oder "recht" ist, den Anderen zu "essen", und welchen Anderen. Man ißt ihn in jedem Fall und läßt sich von ihm essen. Die sogenannten nicht-anthrophagischen Kulturen betreiben eine symbolische Anthropophagie und bauen ihren höchstgestellten Sozius, ja sogar die Erhabenheit ihrer Moral, Politik und ihres Rechts auf dieser Anthropophagie auf. Auch Vegetarier essen Tiere und sogar Menschen. Sie praktizieren einen anderen Modus der Verneinung. Die moralische Frage lautet folglich nicht und hat niemals gelautet, ob man essen muß oder nicht, ob man dieses und nicht jenes essen muß, Lebendiges oder Lebloses, Mensch oder Tier, sondern - da man auf alle Fälle essen muß, da es gut ist, da es recht ist, und da es keine andere Definition des Guten gibt - wie man wohl essen soll? Und was impliziert das? Was bedeutet essen? Wie regelt man diese Metonymie der Introjektion? Und inwiefern gibt die eigentliche Formulierung dieser Fragen innerhalb der Sprache auch noch etwas zu essen? Inwiefern ist noch die Frage, wenn du so willst, kamivor? Die unendlich metonymische Frage zum Thema "Man muß wohl essen" darf nicht bloß für mich einen Nährwert haben, für ein Ich, das in diesem Fall schlecht essen würde; sie muß aufgeteilt (partagee) werden, wie du vielleicht sagen würdest, und zwar nicht nur sprachlich. "Man muß wohl essen" heißt nicht als erstes, etwas in sich aufzunehmen und zu umfassen, sondern essen zu lernen und zu essen zu geben, Lemen-dem-Anderen-zu-essen-zu-geben. Man ißt nie allein, das ist die Regel des "Man muß wohl essen". Es ist ein Gesetz unendlicher Gastfreundschaft.    - Jacques Derrida, nach (lte)

Gastfreundschaft (4)  Der König Franz sagte, ein Edelmann, so stolz er auch sei, könnte einem Herrn, und sei er auch noch so groß, keinen besseren Empfang in seinem Haus oder Schloß bereiten, als wenn er ihn zuerst mit einer schönen Ehefrau, dann mit einem schönen Pferd und endlich mit einem schönen Windspiel zusammenkommen lasse; denn indem der Besucher sein Auge bald auf das eine, bald auf das andre, bald auf das dritte lenke, könnte er in diesem Haus niemals verdrießlich werden; diese drei schönen Dinge seien für ihn sehr freudig anzusehn und zu bewundern, und es bildete eine hohe Annehmlichkeit, sich ihrer zu bedienen. - (brant)

Gastfreundschaft (5)  Die halb verschwundene Inschrift ohne Namen und ohne Datum: Hic cecidit. Rundherum eine Art Boudoir aus schattenspendendem Blattwerk, umschlossen und bedeckt von niedrigen Bäumen, deren ineinander verwobene Zweige, eine Laube bildend, bis auf die Erde hängen; fünf oder sechs grobe Holzbänke erwecken den Eindruck, als warteten sie unter diesem Pflanzenzelt gleichgültig auf andächtige, dem langen Angedenken huldigende Pilger oder picknickende Ausflügler.

Das Fehlen eines Datums, das Seite-an-Seite der beiden aufeinanderfolgenden Denkmäler, in dein so etwas wie ein Intervall von mehreren Jahrhunderten angedeutet ist, der Name, der vergessen wurde oder nur noch durch den bloßen Gleichklang wiedererwacht, die Rätselhaftigkeit dieses Wäldchens, das immer aufs neue um eine gänzlich verflogene Erinnerung herum ergrünt, verleihen diesem kleinen, weltabgeschiedenen Fleckchen Erde inmitten des Marais — nachdem nicht mehr als eineinhalb Jahrhunderte vergangen sind — die Atmosphäre einer archäologischen Ausgrabung, die von der Vegetation zurückerobert und einverleibt wurde: eine gastfreundliche Grabesstätte, wie nach Wunsch geschaffen zur Erholung des Reisenden, genau so etwas stellte ich mir an den Wegrändern in La Route vor. Ich liebe Gräber, die zu Mobiliar oder Gebrauchsgegenständen (oder gar zu Landschaften) geworden sind — Bänke, auf die man sich setzt, Wäldchen, in denen man Erfrischung findet: wer sich zu guter Letzt so friedlich, so bereitwillig im Grünen ausstreckt, um dem Körper eines anderen Entspannung und seinem Auge Freude zu schenken, hat sein Leben nicht ganz verloren, genausowenig wie ein Mensch, der einen Baum gepflanzt oder eine Quelle erschlossen hat.  - (grac)

Gastfreundschaft (6)   »Kommst du weit des Weges?« - »Ja, ich habe einen langen Marsch hinter mir.« - »So komm her und iß mit mir Betelnüsse, hier hast du auch Blätter und Kalk; hernach magst du dich niederlegen und dich ausruhen.« Der Jüngling kaute mit dem Mann Betelnüsse und legte sich dann schlafen. Doch nur zum Schein schlummerte er, denn er wußte, daß der andere versuchen würde, ihn umzubringen. Der ging und kehrte mit einem Arm voll von Speeren zurück. Er ergriff einen, zielte auf den Schlafenden und schleuderte die Waffe. Aber dicht vor der Brust des Fremden wich die Speerspitze plötzlich zur Seite ab, so daß nur der Schaft den Körper streifte. Der Jüngling hatte der Kraft des hiraku-Zaubers vertraut, jetzt aber erhob er sich, tat schlaftrunken und sah die Lanze neben sich in dem Boden spießen. »Wie kommt der Speer hierher?« fragte er. »Ich bin gestolpert, dabei entfiel mir die Waffe«, antwortete der Einheimische. »Du hast mich ermorden wollen«, sagte der Krieger, »wohlan, hier stehe ich und werde nicht auswei-chen, versuche mich diesmal besser zu treffen!« Der Gegner schleuderte einen Speer, die zitternde Spitze kam geradeswegs auf die Brust des Fremdlings zugeflogen, da warf sie der hiraku-Zauber zur Seite. »Nun sieh, wie ich dich zu treffen weiß!« rief der Jüngling, nahm den Speer vom Boden auf und warf ihn dem Feinde mitten in die Brust, daß der hintenüber schoß, und der zitternde Lanzenschaft hoch aufragte.

Eiligst trennte der Krieger dem Gefallenen den Kopf vom Rumpfe und zerlegte den Körper. Die Fleischstücke setzte er in einem Topf voll Wasser aufs Feuer und verbarg sich dann im nahen Gebüsch. Bald darauf kehrte eine ganze Schar von jungen Männern vom Fischfang heim. Sie witterten das kochende Fleisch im Topf, glaubten, es sei ein Schwein geschlachtet und stürzten sich darüber her.  - Südsee-Märchen. Hg. Paul Hambruch. Köln Düsseldorf 1979 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

Gastfreundschaft (7)   Dr. Sparrman kam fast ganz nackend und mit sichtbaren Merkmalen einiger harten Schläge zu uns hergelaufen. Es hatten sich zwey Indianer zu ihm gesellet und ihn unter steten Freundschafts-Versicherungen und mit vielfältigem Tayo! gebeten weiter ins Land heraufzugehen; allein, ehe er sichs versahe, rissen sie ihm den Hirschfänger, welches sein einziges Gewehr war, von der Seite, und als er sich hierauf bückte, um nach einem Steine zu greifen, gaben sie ihm einen Schlag über den Kopf, daß er zu Boden fiel. Nun rissen sie ihm die Weste und andre Kleidungsstücke, die sich abstreifen ließen, vom Leibe. Er machte sich zwar wieder los von ihnen und rannte gegen den Strand herab; allein unglücklicherweise blieb er während dem Laufen in dem kleinern Strauchwerk hängen, worauf sie ihn wieder einholten und mit Schlägen mißhandelten, davon verschiedene in die Schläfe trafen. Von diesen letztern betäubt, zogen sie ihm das Hemd über den Kopf, und da. es durch die Knöpfe fest gehalten ward, so waren sie schon im Begriff, ihm die Hände abzuhacken, als er zum großen Glück wieder zu sich kam, und die Ermel mit den Zähnen aufbiß, da denn die Räuber mit ihrer Beute davon liefen. Kaum hundert Schritt weit von dem Ort, wo dieses vorgegangen war, saßen einige Indianer bey ihrer Mittagsmalzeit, die ihn im Vorbeylaufen baten, sich bey ihnen niederzulassen.  - (for)

Gesellschaft Freundschaft

 

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