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sally
)
Frauenhand (2)
Mihaly von Zichy, Études des mains (1911)
- Nach: Carolin Fischer, Gärten der Lust. Eine Geschichte
erregender Lektüren. München 2000 (dtv 30768, zuerst 1997)
Frauenhand (3) Bei Pola waren
es wie immer die Hände. Da ist der späte Nachmittag, die Müdigkeit, weil
man die Zeit in den Kaffeehäusern vertan hat, über der Lektüre von
Tageszeitungen, die immer dieselbe Zeitung sind, und da ist etwas wie
ein Bierdeckel, der einem leicht auf die Magengegend drückt. Man ist
verfügbar für alles Erdenkliche, man könnte in die schlimmsten Fallen
des Müßiggangs und der Verlassenheit tappen, und mit einemmal öffnet
eine Frau ihr Geldtäschchen, um einen Cafe-creme zu bezahlen, die Finger
spielen einen Augenblick mit dem wie immer nicht ganz perfekten
Verschluß des Täschchens. Man hat den Eindruck, daß der Verschluß den
Zugang zum Haus eines Tierkreises versperrt und daß, sobald die Finger
der Frau entdecken, wie die feinen goldenen Stäbchen sich bewegen
lassen, und mit einer kaum wahrnehmbaren halben Drehung der Verschluß
aufspringt, eine plötzliche Erscheinung die vom Pernod und der Tour de
France berauschten Gäste blenden wird oder vielmehr sie verschlingen
wird, ein Trichter aus violettem Samt wird die Welt aus den Angeln
heben, der ganze Luxembourg, die Rue Soufflot, die Rue Gay-Lussac, das
Café Capoulade, der Brunnen der Medicis, die Rue Monsieur-Ie-Prince,
alles wird er einschlürfen in einem letzten Gurgeln, das nichts
übriglassen wird als einen leeren Tisch, das offene Geldtäschchen, die
Finger der Frau, die eine Hundertfrancmünze hervorholen und sie Pere
Ragon reichen, während, versteht sich, Horacio Oliveira, strahlender
Überlebender der Katastrophe, sich zu sagen anschickt, was man eben bei
großen Zusammenbrüchen sagt.
- Ach, wissen Sie, erwiderte Pola. Die Angst ist nicht meine starke Seite.
Sie sagte: Oh, vom savez, ein wenig wie die Sphinx
gesprochen haben mußte, bevor sie ihr Rätsel aufgab, beinahe um
Entschuldigung bittend, einen Zauber zurücknehmend, von dem sie wußte,
daß er groß war. Sie sprach, wie in so vielen Romanen die Frauen
sprechen, wenn der Romancier keine Zeit verlieren will und das Beste der
Beschreibung, das Nützliche mit dem Angenehmen verbindend, in den
Dialog legt.
- Wenn ich Angst sage, bemerkte Oliveira und saß auf der
nämlichen Bank aus rotem Samt, die Sphinx zur Linken, denke ich vor
allem an die Kehrseite der Dinge. Sie haben Ihre Hand bewegt, als ob sie
eine Grenze berührten, und danach begann eine verkehrte Welt, in der
ich zum Beispiel Ihre Tasche sein könnte und Sie Père Ragon. Er hoffte,
Pola würde lachen und alles wäre nicht mehr so gekünstelt, aber Pola
(später erfuhr er, daß sie Pola hieß) fand eine solche Möglichkeit gar
nicht so absurd.
Beim Lächeln zeigte
sie kleine, sehr regelmäßige Zähne, gegen die sich die grell orange geschminkten
Lippen ein wenig plattdrückten, aber Oliveira war noch bei den Händen, wie immer
faszinierten ihn die Hände einer Frau, er glaubte, er müsse sie berühren, seine
Finger über jedes Fingerglied spazieren lassen, wie ein japanischer Masseur
die unmerkliche Bahn der Adern durchforschen, sich über die Beschaffenheit der
Nägel informieren, wie ein Chiromant Unglückslinien
und Glückshügel ertasten, und er würde das Dröhnen des Mondes hören, wenn er
die Innenfläche einer kleinen, von Liebe oder einer Tasse Tee ein wenig feuchten
Hand an sein Ohr hielte. - (
ray
)
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