Frau, verheiratete  Es gibt in der Liebe, in jeder Liebe, sei sie nun körperliche Raserei oder ein Spuk oder Geist, klar und rein wie ein Diamant, der mir einen Namen zuflüstert, der wie die Kühle selbst ist, dennoch gibt es in der Liebe ein anarchisches Prinzip, eine nicht zu unterdrückende Lust, Gesetze zu übertreten, Gebote zu mißachten und den Drang zu zerstören. Man kann dieser hundertköpfigen Leidenschaft Grenzen setzen so oft man will oder ihr Paläste anweisen: sie wird anderswo wieder auftauchen, immer woanders, dort, wo niemand sie erwartete, wo ihre Herrlichkeit reine Entfesselung ist. Möge sie wachsen, wo niemand sie sät: so gemein sie auch behandelt wird, daß sie sich am Boden krümmt, sie bäumt sich ob solcher Schmach immer wieder auf. Es gibt Besessene, die das Treiben auf der Straße anzieht: nur dort spüren sie die Macht ihrer Triebe. Ihr seid diesen finsteren Männern im Gedränge schon begegnet, und auch diesen verrückten Frauen in den I.-Klasse-Wagen der Nord-Südbahn, nachmittags gegen fünf Uhr. Wie oft habt ihr am Finger des weiblichen Fahrgastes einen Trauring gespürt? Und doch war nichts dabei, es verlangte sie nur nach dieser kurzen Ausschweifung. Der menschliche Himmel hat seine eigenen Blitze, denen man nicht zu folgen vermag. Kompensierung oder Taumel, was mag bei diesen seltsamen Kleptomanen der Wollust vornean stehen? Ich lobe sie mir, diese verheirateten Frauen, die ich mir anscheinend glücklich vorstelle, weil sie beherzt genug sind, sich mit ihrem Los nicht zufrieden zu geben. Los, auf die Suche nach dem Unendlichen! Da sitzen sie im Kino, ganz verwirrt in dem Dunkel, oder im Riesenrad der Jahrmärkte, das Kleid aufreizend hochgezogen. Sie sind auf dem Eroberungszug ihrer selbst, auf dem Kreuzzug der Begierde: werden sie ihr Herz, dieses Grab, öffnen? Die Ungewißheit führt zwangsläufig zum Vagabundieren: eine raffinierte Bewegung und ein Passant kann sich einbilden, endlich erwählt worden zu sein, oder glauben, die Phantasie habe ihn wieder einmal genarrt. Die eine findet höchstes Vergnügen darin, einen Mann zu begehren, der sie nicht sieht, und sich mit wachsender Hoffnung zu schmeicheln, doch kommt es dazu, daß er wie ein Grünschnabel höflich den Hut zieht, könnte sie schreien. Die andere geht mit finsterer Entschlossenheit auf die Jagd, und plötzlich erhebt sich zwischen ihr und ihrem Opfer ein großer Sturm, nichts kann diesem großartigen Unwetter Einhalt gebieten, alles beschleunigt nur noch diese doppelte Raserei: dann, wenn sie nahe daran ist, den ganzen Körper, den sie anlockt, zu berühren, versagt sie es sich mit leidenschaftlicher Erregung durch unmenschliche Selbstentleibung, mit einem einzigen Schritt zurück und versteinert, wird ganz zu Stein. Diese letztere übrigens, die so kalt und allem Werben unzugänglich ist, sie gibt ihren ganzen Leib hin, doch nichts verrät, daß sie sich dessen bewußt ist. Nichts, nicht einmal eine zitternde Lippe. Dann geht sie wie aufgezogen weiter, es war wahrscheinlich eine Tote, mein Lieber.    - (ara)
 
 

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