rau,
gezeichnete
Sie war eher groß als klein, hatte große runde blaue Augen, ihr Haar war
dunkelblond, die Nase gerade, Kinn und Schenkel stramm und fest. Wer wie ich
die Flugschrift mit der ›Beschreibung der Frauen nach ihren Merkmalen‹ kennt,
konnte feststellen, daß sie vier körperliche Fehler hatte, die bei ihr, wie
es bei hübschen Mädchen immer der Fall ist, zu vier zusätzlichen Reizen wurden:
ihre Waden waren etwas zu stramm und muskulös und bildeten einen zu starken
Gegensatz zu den Knöcheln und den feinen Knien; sie hatte leichte O-Beine und
am rechten Schienbein ein helles rundliches Muttermal; die gewölbte Stirn stand
in einem zu ausgeprägten Gegensatz zur Kinnpartie, die an den Backenknochen
kräftig, an der Kinnspitze aber fein war; wer sich schließlich lange genug ihren
Rücken anschaute, mußte feststellen, daß ihre rechte Schulter etwas höher als
die linke war. Diesen letzten Fehler hatte Clara von ihrer Mutter geerbt. Doch
bei Doña Catarina war der Unterschied zwischen beiden Schultern noch ausgeprägter
gewesen, weil sie die mageren, etwas hochgezogenen Schultern einer Asthmakranken
hatte. Claras Schultern hingegen waren füllig und ließen ihre prächtigen Arme
noch deutlicher hervortreten. Das verwandelte ihre etwas gekrümmte Schulter
- bei ihrer Mutter ein echter körperlicher Fehler - in einen zusätzlichen Reiz.
Clara war sich jedoch dieses Unterschiedes nicht bewußt; von Kind an fühlte
sie sich dadurch gedemütigt und hielt es für eine Art Makel oder ererbter Familienschmach,
und das gab ihren blauen Augen Traurigkeit und eine gewisse melancholische Hoheit,
die sie vor der kühlen Ausdruckslosigkeit bewahrten, die sonst mit dieser Augenfarbe
verbunden ist, Andererseits glaube ich heute, Herr Richter, die zu hohe Schulter
und das Muttermal am Schienbein waren die Signale, welche die Gottheit bei ihr
angebracht hatte, um ihre Mitmenschen zu warnen: es waren die Merkmale des Schrecklichen,
die aus Clara eine ›Gezeichnete‹ machten. - (stein)
|
||
|
||