rau,
erregte Ihre kleine Hand mit den abgebissenen Nägeln ist fieberheiß,
und diese Hitze will gar nicht zu dem weißen Gesicht passen. Sehr erregt ist
diese kleine Frau, sie zittert immer ein wenig, wie eine bunte Papierschlange
vor einem Ventilator. Nun stürzt sie sich in die Erzählung eines grauenhaften
Erlebnisses, das sie am Abend vorher gehabt hat. Geht sie da am See spazieren
im dichten Nebel, die Bäume sind eingepackt in Baumwollfasern, und nur wenig
Schein geben die Laternen. Sie denkt an nichts Schlechtes (und daß sie wirklich
und wahrhaftig an gar nichts Schlechtes gedacht hat, betont sie zwei- oder dreimal,
denn wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte dies doch zum Teil das furchtbare
Erlebnis erklärt). Aber nein, sie hat nur an ganz einfache Dinge gedacht, daß
es kalt sei, und warum wohl der Nebel, der so dicht und einhüllend gewesen sei,
doch nicht warm gegeben habe. Da plötzlich sieht sie auf einem von einer Laterne
beschienenen Baum ihre Großmutter sitzen. Wirklich und wahrhaftig, ihre alte
Großmutter, die seit langem gestorben ist, sitzt oben auf dem kahlen Ast dieses
Baumes und schaut auf sie, die kleine Emmy Hennings, herunter. (Gerade so drückt
sie es aus: Die kleine Emmy Hennings.) Was das wohl zu bedeuten hat? denkt sie.
Bös sieht die Großmutter drein, sie scheint über irgend etwas erbost zu sein,
die alte Großmutter. Ihre Lippen sind nach innen geklappt, weil sie doch seit
langem all ihre Zähne verloren hat. «Ich sage ganz laut: 'Großmutter', aber
die alte Frau schaut mich nur an und schweigt. Es hat mich ein großer Schauer
gepackt. Was hat das wohl zu bedeuten? Ist das eine Warnung? Oder steht mir
im Gegenteil eine große Freude bevor? Man sollte zu einer Wahrsagerin gehen
und sie fragen, was das eigentlich zu bedeuten hat. Das geht doch nicht,» —
die Stimme wird weinerlich — «ich kann doch meine tote Großmutter nicht einfach
so auf einem Baum sitzen lassen.» - Friedrich Glauser, Dada,
Ascona und andere Erinnerungen. Zürich 1976
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