rage
verstehen Horch: sind diese Klänge
jetzt nicht schon deshalb anders, weil ein Hang zur Frage in ihnen anklingt?
Die Stimme oder das Stimmengemisch steigt jetzt in einem geheimnisvollen Atem
auf, fast als wolle es sich zur Form einer Frage modulieren. Aber natürlich
ist das eine Illusion, eine anthropomorphische Halluzination, denn es ist gar
nicht möglich, daß die Frage der verständlichen Formulierung des Wortes vorausgeht,
nicht wahr? Nein, das ist nicht wahr; es ist möglich, daß die Absicht der Frage
schon die wahre Spannung der Worte, der Rede ist, ja sogar daß dort, wo diese
Frage existiert, nicht die mindeste Spur von Sinn sein muß, und die Frage ist
selbst schon die Spannung der Rede, ist selbst die Rede, und du wirst tatsächlich
merken, daß an diesem Punkt die Silben zwar hartnäckig konsequent werden, aber
auch an Klarheit verHeren. Nicht, daß sie je klar gewesen wären, aber sie waren
doch artikuliert, wenn auch ungeschickt, während sie jetzt wenig mehr sind als
das ständig modulierende Syllabieren einer Klage, die uns als Frage erscheint.
Gut - aber wenn du die Frage hörst, wirst du dir doch wieder auch jene andere
Frage stellen: ist dies eine Frage an sich oder ist sie eine Frage, weil du
sie als solche erkennst? Im ersteren Fall wäre sie, diese Frage, auf eine Art
gestellt, daß man die Gewährung einer Antwort für möglich halten könnte; wie
aber wäre in einem solchen Fall die Antwort formuliert? In welcher Gestalt der
Rede? Das wird genügen, um zu zeigen, wie schlecht das Problem gestellt ist;
tatsächlich ist die Frage deshalb eine Frage, weil sie jene spezifische Modulation
aufweist, und obwohl es möglich ist, daß die Frage darum weiß, eine Frage zu
sein, wäre es auch vernünftig zu glauben, daß die Frage nur deshalb eine Frage
ist, weil du, nächtlicher Hörer, zu jener Welt der Befragung gehörst, wo diese
Modulation einen Sinn hat; aber daß es eine Antwort geben soll, mutet unsinnig
an, denn um für die Frage verständlich zu sein, müßte die Antwort auf derselben
verbalen Ebene erfolgen wie die Frage, und auf dieser Ebene kann es offensichtlich
nur eine Frage geben aber auf keinen Fall eine Antwort. Die Frage ist zwar eine
Modulation der Klage, aber sie enthält, wenn auch mit Mühe, eine verbale Absicht,
die scharfsinnig und intensiv erscheint, wenn auch völlig vergeblich -ein weiteres
Beispiel für jenes leere Geschwätz, dem du dein hingebungsvolles Ohr leihst.
Doch wenn die Frage objektiv eine Frage ist - nimmst du dann an der Befragung
teil oder bleibst du ihr fern? Bist du nur der Hörer - derjenige, der die fragende
Eigenschaft bestätigt - oder bewirkt gerade deine Bestätigung, daß du in die
Geschwindigkeit der Befragung hineingezogen wirst, so daß du selbst in Versuchung
gerätst zu fragen? Oder ist es nicht eher deine eigene, an die Stimme der Frage
gerichtete Frage, wie um zu sagen, ich befrage dich, weil ich wissen möchte,
was die Frage ist, die ich im übrigen als solche höre? Auf jeden Fall aber ist
die Frage deshalb eine Frage, weil sie in jener Weise geformt ist, und deshalb
wird auch deine Frage - sei sie nun an die Frage gerichtet oder nicht - genauso
fragend sein wie die andere, denn als Teilhaber an ihrer phonischen Eigenschaft
- der fragenden Modulation - sind beide sie selbst. Kurzum, wenn die Frage eine
Frage bliebe, wenn sie nur fragte und sonst nichts - zufrieden, fragend zu sein
und vielleicht dank deines Zuhörens irgendein Bewußtsein erlangt zu haben, eine
fragende Frage zu sein; wenn sie darauf beharrte, klagend, nörgelnd, faselnd,
ungenau, allgemein, feige, aufdringlich, kindisch und repetitiv zu sein - ja,
dann könnte die Frage tolerant sein; und du, wenn du die alte Angst einmal abgelegt
hättest, könntest dich möglicherweise darauf einrichten, an diesem Ort zu verharren,
dem die Frage ebenso wesensverwandt zu sein scheint wie die Nacht. - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
|
||
|
|
|