liehen  Blättern, blühen gehen, einen Hasen machen, Kraut backen, paulisieren, Pech geben, schneien, verduften. - (pu)

Fliehen (2)   Eine griechische Legende berichtet, daß Dionysos, der Gott des Weines, entsetzt aus Mesopotamien floh, weil seine Bewohner so hemmungslos dem Bier zusprachen. - (erf)

Fliehen (3) Aus der verfaulten Ratte kommen zahllose kleine Rättchen hervor, schauen sich um, laufen in meine Richtung. Alles ist jetzt ganz dunkel, ich fange an zu rennen, bemerke, ein blitzschnelles Tier zu sein, stürze durch die Scherben, renne renne - oh dieses Getrappel von Füßen, die mich verfolgen! Ich setze mich/wir setzen uns auf die Bänke eines amphitheatralischen Hörsaals, wir sind dutzende eifrig schreibender Studenten, einer von uns hat ein Bandgerät mitgebracht, Blätter werden herumgereicht. Die Vorlesung verspricht, bedeutend zu werden. Ich blicke zum Katheder hin und sehe weich dagegengelehnt die Amphisbaena. Die Amphisbaena - das Tier, das vorwärts und rückwärts geht - unterrichtet also an der Universität - auch wenn mir nicht klar ist, um was für eine Universität es sich handelt. Ich weiß, daß ich zwei Personen bin - ein angehender Wissenschaftler und ein von Ratten verfolgter Mörder, aber es scheint mir ratsam, nicht zwischen meinen beiden Berufungen zu wählen. - (hoelle)

Fliehen (4) Salome Speed sah James Cobb sterben. Sie sah, wie James das Leben aus dem Leib geschlagen wurde, wie Staub von einem Teppich - mit Füßen, mit Fäusten, durch Schlag um Schlag um Schlag um Schlag mit einem langen, knotigen Knüppel, der von einem Mann in einer Boston Celtics-Jacke und einem albernen Partyhut auf dem Kopf geschwungen wurde.

Sie erinnerte sich: Es war St. Patrick's Day - beziehungsweise der Morgen danach.

Bislang war Salome von vier Männern vergewaltigt worden. Ein fünfter bearbeitete sie gerade, schleifte ihren nackten, blutigen Hintern über den harten, rauhen, kalten und nassen Bürgersteig. Sein nach Bier und Erbrochenem und Zigaretten stinkender Atem schlug ihr ins Gesicht. Noch genau so viele oder mehr warteten darauf, daß sie an die Reihe kamen, rülpsten, drängelten, kicherten wie kleine Mädchen. Doch dann jaulte weit weg eine Sirene auf, und noch eine näher, und die Männer zerstreuten sich, hierhin, dahin, dorthin. Nummer Fünf zog sich mit einem Ruck aus Salome zurück, sein Schwanz immer noch hart, feucht glänzend und blutig; er stopfte ihn sich in die Hose und watschelte, wobei er die Hose am Bund hochhielt, wie ein Kasper aus einem Stummfilm zur nächsten Straßenecke, umrundete sie und war verschwunden.

Der Mann in der Celtic's-Jacke trat zu Salome und baute sich zwischen ihren Beinen auf, trat gegen ihre Fersen, damit sie die Beine noch weiter spreizte. Die linke Hand steckte in der Jackentasche, und in der rechten hielt er den langen, knotigen Knüppel, ganz klebrig von James' Blut. Der alberne Partyhut saß keck auf seinem Kopf, ein smaragdgrünes Schiff in einem Meer goldener Locken, festgehalten von einer dünnen, silbernen Kordel von der Sorte, mit der man ein Geschenk verschnürt. Sein Gesicht war schmal und weiß, die Zähne krumm und schief, die Augen so fahl, daß sie gelb wirkten im Licht einer der malerischen alten Stablaternen, die außer an den Straßenecken der Narrows in New York sonst nirgends mehr zu finden waren.

Geistesabwesend, und ohne sich den speziellen Problemen dieser Aufgabe zu stellen, versuchte er den langen, knotigen Knüppel in sie hineinzurammen. Als es nicht klappte, schleuderte er den Knüppel fort; er knallte gegen den Laternenmasten und polterte in den Rinnstein. Seine Hand und eine bösartig schwarze Kanone kam aus der Jackentasche. Er richtete sie auf Salomes Gesicht. Er sah ihr direkt in die Augen, sie direkt in seine. Wortlos unterhielten sie sich.

Ich muß es tun, sagte er. Du wirst weder mich noch einen anderen von uns je vergessen.

Nein, stimmte sie zu. Bitte, tu's.

Du willst es?

Bitte... bitte.

Aber sein Verstand arbeitete fieberhaft; er sah die Zukunft. Er konnte Stahlgitter dröhnend zufallen hören, den Elektroschock spüren und das Gas riechen. Er steckte die Kanone weg und lief los, kleine Füße in kleinen, engen Lederstiefeln, braun, fast wie die einer Frau, verängstigt von seiner Vision der Zukunft. - Jerry Oster, Wenn die Nacht kommt. Reinbek bei Hamburg 1994 (rororo thriller 3155, zuerst 1993)

Fliehen (5) Das Allermerkwürdigste bei diesen Tieren ist ihre Flucht; denn zu gewissen Zeiten, und öfters zwischen zehn und zwanzig Jahren, fliehen sie scharweise in solcher Menge fort, daß man darüber erstaunen muß; da sie denn eine nach den andern truppweise bei Tausenden so mannigfaltig ziehen, daß ihr Pfad ein paar Finger tief, ein oder zwei Viertel breit, auch zu beiden Seiten, auf etliche Ellen voneinander, andere dergleichen Pfade sind, die alle schnurgerade vor sich hingehen. Unter Weges fressen sie das Gras und die Wurzeln auf, die hervor ragen; und wie mir gesagt worden, werfen sie öfters unter Weges und tragen ein Junges im Maule und das andere auf dem Rücken. Ihr Weg gehet von den Gebirgen; wo sie aber hinwollen, weiß ich nicht; doch gehen sie bei uns nach der See (Sinum Bothnicum) hinunter, wiewohl sie selten so weit kommen, sondern zerstreuet werden und größtenteils unter Weges vergehen und sterben.

Nicht weniger seltsam ist ihr Weg, der so gerade voraus liegen muß, daß sie denselben auf keinerlei Weise verlassen dürfen. Wenn ein Mensch in ihren Strich kömmt, so gehen sie nicht aus dem Wege, sondern versuchen demselben zwischen den Beinen durchzukommen oder setzen sich gegen ihn auf die Hinterfüße und beißen in den Stock, wenn man ihnen denselben entgegenhält.

Finden sie etwan einen Heuschober unter Weges, so gehen sie nicht daneben herum, sondern arbeiten sich mit Graben und Fressen ihren Weg gerade durch denselben hin. Liegt ihnen ein großer Stein im Wege, über welchen sie nicht kommen können, so machen sie einen halben Zirkel darum her, doch so, daß sie ihre gerade Linie wieder nehmen.

Wenn sie irgendeine See antreffen, sie mag so breit sein, als sie will, so suchen sie ihrem Striche nach darüber zu schwimmen, sollte es auch über den breitesten Durchmesser geschehen; dafern ihnen in der See ein Fahrzeug begegnet, so gehen sie ihm nicht aus dem Wege, sondern suchen sich in dasselbe hinaufzuarbeiten und werfen sich denn gerade gegenüber auf der anderen Seite wieder in die See. Wenn sie gegen einen brausenden Strom kommen, so scheuen sie sich nicht dafür, sondern gehen gerade vor sich hin, sollten sie auch alle ihr Leben darüber zusetzen. - (lin)

Fliehen (6)

Eine lachende schwarze Alte, die ich reizte,
tat schreckliche Schwüre, als sie mir folgte.
Ich floh mit Eifer, ich floh wie ein Fisch.
Ich floh als Krähe und fand kein Nest.
Ich floh wild, floh als Kette.
Ich floh als ein Reh in ein verwachsenes Dickicht.
Ich floh als ein Wolfsjunges, ich floh als ein Wolf in der Wildnis.
Ich floh als eine Drossel, die Wunder kündete.
Ich floh als ein Fuchs, gewöhnt an spitzfindige Schliche.
Ich floh als eine Schwalbe, die zu nichts nütze ist.
Ich floh als ein Eichhörnchen, das sich umsonst verbirgt.
Ich floh als ein Rehbock, den man hetzt.
Ich floh wie ein Eisen in glühendem Feuer.
Ich floh als Speerspitze, die Kummer bringt dem, der sie sich wünscht.
Ich floh als wilder Bulle bitterlich kämpfend.
Ich floh als borstiger Eber in einer Schlucht.
Ich floh als weißes Weizenkorn in reinen Weizen,
auf einem Rock aus hänfnem Tuch haftend,
der die Größe eines Fohlens hatte,
der gefüllt ist, wie ein Schiff auf dem Wasser.
In einen dunklen Lederbeutel ward ich gesteckt,
auf der endlosen See trieb ich umher. 


- Talyessin, nach (wal)

Fliehen (7)  »Er war achtundvierzig Jahre alt... Plötzlich fällt es mir ein. Genau an dem Tag, an dem er verschwunden ist, wurde er achtundvierzig.«

»Der 13. Januar . . . Und Sie haben nicht die geringste Ahnung ... ?«

Zweifellos   bedeuteten   die  Steifheit  der  Besucherin   und   ihre verkniffene Miene, daß sie keine Ahnung hatte. »Ich nehme an. Sie möchten, daß wir Nachforschungen anstellen.«

Ihre verächtliche Grimasse konnte bedeuten: natürlich, oder aber auch, daß es ihr gleich war.

»Wir sagen also . . . der 13. Januar . . . Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen diese Frage stelle: Hatte Ihr Mann Gründe, Selbstmord zu begehen?« »O nein.«

»Wie war seine finanzielle Lage?«

»Die Firma Monde, die sein Großvater Antonin Monde 1843 gegründet hat, ist eine der solidesten von Paris.«

»Spekulierte Ihr Mann nicht ? War er Spieler ?«

Auf dem Kamin hinter dem Kommissar stand eine Uhr aus schwarzem Marmor, die schon vor einer Ewigkeit um fünf Minuten nach Mitternacht stehengeblieben war. Warum dachte man an fünf Minuten nach Mitternacht und nicht an fünf Minuten nach zwölf Uhr mittags? Jedenfalls tat man es, wenn man zu ihr hinblickte. Daneben stand ein laut tickender Wecker, der die genaue Zeit anzeigte. Er befand sich genau in Frau Mondes Gesichtsfeld, und dennoch verrenkte sich diese von Zeit zu Zeit den Hals, der lang und mager war, um auf eine winzige Uhr zu blicken, die sie wie ein Medaillon an ihrer Bluse trug.

»Geldsorgen scheiden also aus ... Aber Ihr Mann hatte doch bestimmt keinen Liebeskummer. Verzeihen Sie, daß ich danach frage.«

»Mein Mann hatte keine Geliebte, wenn Sie das meinen.« Er wagte nicht, sie zu fragen, ob sie nicht einen Geliebten habe. Das war zu unwahrscheinlich.

»Und wie stand es mit seiner Gesundheit ?« »Er  ist  noch  nie  in seinem  Leben krank  gewesen.«

»Gut. . .  Ausgezeichnet... Würden  Sie mir nun bitte sagen, was Ihr Mann am 13. gemacht hat?«

»Er ist wie jeden Tag um sieben Uhr aufgestanden — er ist immer früh schlafen gegangen und früh aufgestanden.«

 »Verzeihung:   Schlafen Sie im gleichen Zimmer?« Ein frostiges Ja.

»Er ist um sieben Uhr aufgestanden und ins Badezimmer gegangen, wo er trotz . . .  nun,  das spielt keine Rolle . . . seine erste Zigarette  geraucht hat.  Dann  ist er hinuntergegangen.«

 »Lagen Sie noch im Bett ?« Wieder ein frostiges Ja. »Hat er mit Ihnen gesprochen?«

»Er hat mir wie jeden Morgen auf Wiedersehn gesagt.«

 »Haben Sie in dem Augenblick daran gedacht, daß es sein Geburtstag war?«

»Nein.« - Georges Simenon, Die Flucht des Herrn Monde. Köln 1970 (zuerst 1952)

Fliehen (8)  Er lehnte gegen eine Wand (er keuchte ein wenig und spürte, wie sein Hemd am Leibe klebte), brannte sich eine Zigarette an und fragte sich zum ersten Mal ausdrücklich, Wort für Wort, warum er denn auf der Flucht sei. Die näherkommenden Schritte drängten sich zwischen ihn und eine Antwort; im Weiterlaufen dachte er, wenn es ihm gelänge, über den Fluß zu kommen (er befand sich bereits in Nähe der Blackfriars Brücke), wäre er in Sicherheit. Er flüchtete in einen Torweg, weg von der Laterne, die den Ausgang in Richtung Watergate beleuchtete. Etwas verbrannte seine Lippen, er riß sich die Kippe ab, die er vergessen hatte, und spürte seine Lippen reißen. In der Stille ringsum versuchte er die nicht beantwortete Frage zu wiederholen, aber ironischerweise kam ihm der Gedanke dazwischen, er könne sich erst dann in Sicherheit wiegen, wenn er über den Fluß sei. Das war unlogisch, die Schritte konnten ihn auch auf der Brücke verfolgen, durch jedes Gäßchen am anderen Ufer, und trotzdem wählte er die Brücke, rannte weiter, und der Wind half ihm, den Fluß hinter sich zu lassen und sich in einem Labyrinth zu verlieren, das er nicht kannte, bis er in eine schlecht beleuchtete Gegend kam. Ein drittes Mal in dieser Nacht machte er in einer tiefen und schmalen Gasse ohne Ausgang halt.  - Julio  Cortázar, Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am Main 1998

Fliehen (9)  Flü-Rezept, unöstlich. Er flüchtete vor der Impotenz ins Huren, vor den Huren zur Ehefrau,

vor lähmigem Nichtstun zum Trödeln, vor dem Trödeln zur Arbeit, vor namenlosem Verdämmern in die Publicity, vor dem Alter in die Rüstigkeit, vor der Rüstigkeit in die Jugend. Vor Knechtschaft undoder Ruin in die Macht, vor deren Schlechtigkeit in den Machtverzicht, vor der Unwichtigkeit in den Stress vor dem Stress in die Gelöstheit - vor dieser Pose ins Echte - - Er lebte annähernd glücklich und ewig.   - (met)

Fliehen (10) Die Welt war ein Ball unter seinen Füßen; sie stieß im Laufen an seine Füße; sie fiel nieder, da kamen die Bäume herauf. In der Ferne heulte der Hund eines Wilderers, den Fuß im Fangeisen, und er hörte es und lief noch schneller, denn er dachte, der Feind sei ihm auf den Fersen. »Duckt euch, Jungs, duckt euch!« rief er, aber mit der Stimme eines Mannes, der auf einen fallenden Stern zeigt.

Plötzlich fiel ihm ein, daß er seit der Flucht noch nicht geschlafen hatte, und er hörte zu laufen auf. Jetzt waren die Wasser des Regens zu müde, um die Erde zu peitschen, im Fallen brachen sie auseinander und wehten im Wind umher wie die Körner des Sandmanns. Wenn er dem Schlaf begegnete, würde der Schlaf ein Mädchen sein. Während der letzten zwei Nächte, im Gehen oder im Laufen quer durch das leere Land, hatte er von ihrer Begegnung geträumt. »Leg dich nieder«, würde sie sagen, würde ihm ihr Kleid geben, um darauf zu liegen, und würde sich an seiner Seite ausstrecken. Gerade als er so geträumt hatte und die kleinen Zweige unter seinen laufenden Füßen ein Geräusch gemacht hatten wie das Rascheln ihres Kleides, hatte in den Feldern der Feind geschrien. Er war fort und fort gelaufen und hatte den Schlaf immer weiter hinter sich gelassen. Manchmal war da eine Sonne, ein Mond, und manchmal unter einem schwarzen Himmel hatte er den Wind hochgenommen und niedergeworfen, ehe er weiterkonnte.

»Wo ist Jack?« fragten sie in den Gärten des Hauses, das er verlassen hatte. »Oben auf den Hügeln, mit einem Schlächtermesser«, sagten sie und lächelten. - (echo)

Bewegung Befreiung
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

 

Entkommen
VB
Synonyme