leischgeruch
Es war das Flüßchen, das ihn mitbrachte, von einem der undurchschaubaren
und schier endlosen Stadtränder her, wo nach wüsten Brachstrecken immer wieder
unerwartete Enklaven und rätselhafte Industrieviertel auftauchten. Als Kind
wußte ich, daß es der Geruch jener milchfarbenen Flut war, die durch den Fluß
gespült wurde und, warmer Seifenlauge vergleichbar, am Abend brodelte und dampfte.
Ich wußte, daß dieser Geruch in die Bachufer eindrang und unter den Feldern
weiter sickerte; die Nebel über dem Bachbett waren dieser Geruch, und diese
Nebel stiegen genauso aus der Ackerkrume und infizierten alles, was auf den
Feldern wuchs, und sie stiegen aus den Wiesen, das Gras auf den Viehkoppeln
roch nach der dumpfsüßen Essenz der Flußnebel, die Büsche am Ufer gediehen unter
diesem Geruch, der ein Fleischgeruch war. - Wolfgang Hilbig, Alte Abdeckerei. Frankfurt am Main 1991
Fleischgeruch (2)
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