Fleischerhund    «Es ist allgemein bekannt», so begann er, «daß unser literarischer Großinquisitor der unbezwinglichste und verheerendste Jüngling war, der je auf unseren Bürgersteigen die Katastrophe des Gehrocks oder der Hose zur Schau getragen hat. Es gibt keine Worte, um die prachtvolle Erscheinung dieser bettelarmen Träumergestalt zu beschreiben. Ich erinnere mich, ihn in dieser Zeit so manches Mal erblickt zu haben, und ich bin so stolz darauf, daß ich es nur mit Mühe fassen kann, daß die Erde mich zu tragen vermag. Oh, ich spreche von einer weit zurückliegenden Zeit. Ich war noch nicht sein Freund, und ich konnte kaum ahnen, daß ich es eines Tages werden würde. Ich weiß nicht einmal, ob er je einen einzigen Freund besessen hat. Er war ein stürmischer, ein schwieriger Frischling, der sich nur mit den Gestirnen gemein machte. Man ahnte seinen Widerwillen gegen jedwede andere Art von Promiskuität, und niemand hat sich meines Wissens je um die Anwerbung dieses Adams bemüht.

Jeder von Ihnen kennt ihn zu gut, als daß ich mich damit abquälen müßte, ihn zu beschreiben. Indes weiß ich nicht, ob Sie ihn auch als Achtzehnjährigen kennen, so wie ein grimmiges, von ihm selbst in Haifischöl gemaltes Portrait ihn zeigt, auf das er nur engsten Vertrauten einen Blick gestattet. Auf diesem Bild erscheint er, das Gesicht von Reue zernagt, in einem Kitt aus Erdpech, Umbraerde und Bleikarbonat, den Betrachter aus zwei furchtbaren, vor lauter Eindringlichkeit blutig gefärbten Augen anblickend. Wer das nicht gesehen hat, hat überhaupt nichts gesehen.

Dies war das erste Erscheinungsbild unseres Helden, der Maler werden wollte lange bevor er sich zum Schriftsteller berufen fühlte und, meiner Treu, in seinen Bildern genau das gewesen wäre, was er in seinen fürchterlichen Büchern ist, nämlich der liebenswürdige Fleischerhund und himmlische Kannibale, den wir bewundern.

Die Augen dieses Portraits, von einer Besessenheit, die sogar einen Virtuosen wie mich erstaunte, hatten freilich nichts gemein mit jenen unglaublich sanften Augen, die der Schöpfer der Vulkane und des Lichtes zur Verwirrung der Dummköpfe unter seiner grämlichen Stirn leuchten ließ. Gleichwohl bedingten sie eine außergewöhnliche Ähnlichkeit, die auch die kühnste Langlebigkeit nicht zu verleugnen imstande wäre, sind sie doch die Augen seiner Seele, die wahren Augen seiner ewig nach göttlichen Ahnungen dürstenden Seele. Schon beim Anfertigen dieses exorbitanten Bildnisses ließ ihn sein Instinkt — der Instinkt eines von Abgründen Umgebenem — augenscheinlich sein abscheuliches Schicksal erahnen.

Ohne Zweifel witterte er schon das zukunftige Aas auf seinem Weg, dessen Ausdünstung beinahe die dreihundert Löwen ersticken sollte, die er in sich trug.   - Léon Bloy, Kains schönster Fund. In: L. B., Unliebsame Geschichten. Stuttgart 1983. (Die Bibliothek von Babel, Bd. 4, Hg. J. L. Borges)

Fleischer Gemüt

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