leisch, kaltes Ich nähere mich der Eichentür. Meine Hand berührt schon den Türklopfer, als ich ein moderneres Klingelsystem entdecke: einen Messingknopf. Ich drücke ihn und merke, daß die Tür nur angelehnt ist. Ohne eine Reaktion auf mein Läuten abzuwarten, schiebe ich sie auf.
Die Angeln sind gut geölt, aber die Tür läßt sich nur zwanzig Zentimeter öffnen. Irgend etwas versperrt den Weg. Eine Sicherheitskette scheint es nicht zu sein. Dafür liegt das Hindernis zu tief, auf dem Boden. Wahrscheinlich eine dieser Stoffwürste, die verhindern sollen, daß Zugluft durch dieTür-ritze dringt. Ich bücke mich, greife hinter die Tür und taste mit der Hand nach dem Hindernis.
Der Tag fängt ja gut an!
Was meine Finger berühren, ist nicht aus Stoff. Keine Wurst, eher Knochen. Eine halbrunde Form unter Kleidungsstoff. Erinnert mich stark an eine jugendliche Brust. Allerdings hüpft sie nicht, und sehr warm ist sie auch nicht mehr.
Meine Kehle ist von einer ganz besonderen Trockenheit, die selbst ein Liter
Martini nicht wegspülen könnte. Ich richte mich wieder auf und werfe einen Rundblick
über die Straße. Alles ist still, friedlich und menschenleer. Nur in einem Fenster
gegenüber hat eine Putzfrau ihre Arbeit unterbrochen, um mir bei meiner zuzusehen.
Ich lächle ihr zu, so gut ich kann. Ja, meine Süße, wir gehören zu dem morgendlichen
Arbeitstrupp, der für die Sauberkeit der großen Stadt verantwortlich ist. Die
Müllabfuhr hat schon Feierabend, jetzt ist Nestor an der Reihe, Liebling des
Sensenmannes, Akquisiteur für Borniol. Immer dieselbe Kost zum Frühstück: kaltes
Fleisch. Als hätte die Putzfrau gegenüber meine Gedanken erraten, zieht sie
sich von ihrem Beobachtungsposten zurück. Hat wohl Angst vor mir gekriegt.
- Léo Malet, Wer einmal auf dem Friedhof liegt ... Reinbek bei Hamburg
1994 (zuerst 1982)
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