ingerfalle  Horselover Fats Nervenzusammenbruch nahm seinen Anfang an jenem Tag, an dem ihn Gloria anrief und ihn um einige Nembutal bat. Er fragte sie, was sie damit vorhätte, und sie sagte, sie wolle sich damit umbringen. Sie hatte bereits jeden angerufen, den sie kannte. Inzwischen besaß sie schon fünfzig Stück, aber sie brauchte noch dreißig oder vierzig mehr, um sicherzugehen, daß auch alles klappte.

Augenblicklich kam Horselover Fat zu dem Schluß, daß dies ihre Art war, um Hilfe zu bitten. Seit Jahren lebte Fat in dem Wahn, daß er den Menschen helfen könne. Sein Psychiater hatte ihm einst gesagt, daß er, um gesund zu werden, zwei Dinge tun müsse: die Finger vom Dope zu lassen (was er nicht getan hatte) und aufzuhören, anderen Menschen helfen zu wollen (was er noch immer versuchte).

Wie auch immer, er hatte keine Nembutal. Er hatte nicht eine einzige Schlaftablette im Haus. Er nahm nie Schlaftabletten. Er nahm Upper. Daher war er nicht in der Lage, Gloria Schlaftabletten zu geben, damit sie Selbstmord begehen konnte. Allerdings hätte er es auch dann nicht getan, wenn es ihm möglich gewesen wäre.

»Ich habe zehn Stück«, erklärte er, denn sonst hätte sie aufgelegt.

»Ich komme zu dir«, sagte Gloria mit vernünftiger, ruhiger Stimme, im gleichen Tonfall, in dem sie ihn um die Tabletten gebeten hatte.

Dann wurde ihm klar, daß sie keine Hilfe wollte. Sie wollte sterben. Sie war vollkommen verrückt. Wäre sie gesund, hätte sie erkannt, daß sie ihre wahre Absicht verbergen mußte, denn so machte sie ihn der Mittäterschaft schuldig. Half er ihr bei ihrem Selbstmord, bedeutete dies, daß er ihren Tod wollte. Aber weder er noch jemand anders hatte ein Interesse daran. Gloria war eine freundliche, gebildete Person, die große Mengen Acid nahm. Es war offensichtlich, daß in den sechs Monaten, in denen er nichts von ihr gehört hatte, ihr Gehirn von dem Acid zerstört worden war.

»Was hast du die ganze Zeit über getrieben?« fragte Fat.

»Ich bin im Mount Zion Hospital in San Francisco gewesen. Ich habe einen Selbstmordversuch gemacht, und meine Mutter hat für meine Einweisung gesorgt. Vorige Woche bin ich entlassen worden.«

»Bist du wieder in Ordnung?« wollte Fat wissen.

»Ja«, sagte sie.

Das war der Moment, in dem Fat den Verstand zu verlieren begann. Zu dieser Zeit wußte er noch nichts davon, aber er wurde in ein schreckliches psychologisches Spiel verwickelt. Es gab nichts, das ihn davor bewahren konnte. Gloria Knudson hatte ihn, ihren Freund, zusammen mit ihrem eigenen Gehirn zerstört. Wahrscheinlich hatte sie sechs oder sieben andere Männer, alles Freunde, die sie liebten, ebenfalls zugrunde gerichtet, und das allein durch derartige Telefongespräche. Zweifellos waren auch ihr Vater und ihre Mutter nicht davon verschont geblieben. Fat entdeckte hinter ihrem vernünftigen Tonfall den Mißklang des Nihilismus, die Leere des Vakuums. Er sprach nicht mit einer Person. Am anderen Ende der Leitung befand sich ein rein von Reflexen angetriebenes Ding.

Allerdings wußte er noch nicht, daß der Wahnsinn manchmal die einzig vernünftige Antwort auf die Realität ist. Indem er sich Glorias Bitte anhörte, ihr bei ihrem Selbstmord zu helfen, nahm er die Krankheit in sich auf.

Es war wie eine chinesische Fingerfalle: Je heftiger man sich zu befreien versuchte, desto fester wurde die Umklammerung. - Philip K. Dick, Die VALIS-Trilogie. München 2002 (Heyne 01/13652, zuerst 1981)

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