Filmbeschreibung    HERBERT Das ist meine Großmutter. Der Bub bin ich.

Meine Großmutter machte mir zum Frühstück immer Kakao. Meine Großmutter hatte nie graue Haare. Einmal hörte sie auf, ihre Haare kastanienbraun zu färben, und sie wurden weiß. Das ist mein Kind.

Es sitzt auf dem Fensterbrett meines Schlafgemachs. Ich wachte auf und filmte das Mädchen. Sie war über den Kindertisch auf das Fenster geklettert und bewegte den Vorhang. Die auf und abgeblendete Sonne weckte mich. Sie hat mich in die Küche gelockt und ich dachte mir, das paßt, daß der Küchenboden weiß gestrichen ist und sie noch ihren weißen Nachtanzug anhat, das paßt, daß sie zu mir heraufschaut.

Das ist ihr Buch. Sie nimmt aus der Küchenstellage eine Develey-Tüte und steckt das Buch hinein. Die Tüte trägt sie in mein Schlafgemach. Das ist unscharf. Das ist die Verandatür. Das ist ein grauer Tag.

Das ist das Kind auf der Kautsch. Das Kind ist krank. Die Kamera beiseite zu legen, habe ich mir gedacht, ist keine Medizin. Das ist die Zudedte. Das ist ihr Augenlidschlag. Draußen die Hütte ihres Hundes. Mein Gesicht

Das ist der Kopf der Puppe, die ich ihr gemacht hatte. Das ist draußen. Das ist in Farbe. Das hat meine Frau gefilmt. Da war das Kind noch gesund und wir haben zusammen gespielt. Ich habe ihr die Puppe ans Krankenlager gesetzt. Sie beachtete die Puppe nicht. Ich ließ die Puppe sitzen. Ich hatte die Puppe mit alten Kindersachen ausgestopft. Das ist das Licht eines grauen Tages. Das ist der Nachbarbub. Ich gab ihm ein Zeichen, draußen zu bleiben. Das ist ihr Buch. Sie fragte oft: Papa des? Die Bilder hab ich als Kind gesammelt. Immer wieder erwog ich, ihr das Buch nicht zu geben, weil für mich so viel Erinnerung daranhing. Immer wieder bewog ich meine Großmutter, Margarine zu kaufen, von der sie nichts hielt, da wir auf einem Bauernhof lebten. Das ist zu lange. Die Puppe trägt eine Strickbluse meiner Frau, war rosa. Eine Sandale des Kinds auf dem Boden. Der Schuh meiner Frau, aus Neapel.

Das Kind weint in einem Sommernem denen aus Frottee. Es war weißrot gestreift.

Nach Neapel hatten wir das Kind nicht mitgenommen. Wir hatten es bei der Schwiegermutter gelassen. Die Schwiegermutter hatte ein Klavier. Immer wenn wir zur Schwiegermutter kamen, spielte meine Frau ein wenig Klavier. Meine Frau behauptete oft, sie wäre eine große Pianistin geworden, wenn sie nur mit ihrer kleinen Hand treffsicher die Oktav hätte spannen können. Ich legte das kranke Kind in mein Bett. Bevor sie einschlief, steckte sie immer den rechten Zeigefinger in den Mund und suchte mit der linken Hand den Saum ihres Unterhemds, den sie um die Hand wand. Leicht schlief sie ein, wenn sie vorher weinte. Das ist ein Bild.

Das ist eine Naheinstellung, in der sie fast einschläft. Die Kamera hatte keinen Zoom.

Das ist mein Fuß, meine Sandale, die Hose hatte ich in Italien auch an. Das ist die Hand auf dem Bild.

Das Zimmer hatte Ich mit einem verwirrenden Muster ausgewalzt.

Das ist eine Naheinstellung, in der sie sich beruhigt. Das ist ein Blick in die Küche. Auf dem Küchentisch stand damals ein Geschenkkorb. Ich weiß nicht mehr aus welchem Anlaß. Er kommt nicht mehr ins Bild. Das ist eine Naheinstellung, das ist die letzte Naheinstellung von meinem Kind. Es bewegt die Lippen. Die vorderen unteren Schneidezähne werden sichtbar. Es ist, als sagte es etwas. Jetzt seh ich, daß es auf der Oberlippenrinne Blutkrusten hat.

Erinnern Sie sich an die Steine, über die ich eben gegangen bin?

Erkennen Sie mein Gesicht? Lesen Sie mal meine Gedanken!

Das ist ein Rad. Das gehörte den Nachbarkindern. Ich sah das Rad. Ich dachte, ich gehe zum Rad. Daneben sah ich die Aschentonne, ich dachte, ich gehe zur Aschentonne.

Ich sah den Deckel der Aschentonne und nahm ihn ab. Unrat Kehricht Müll. Immer ist mir am wohlsten, wenn Ich nicht denkend gestalte, sondern vom Denken ins selbstverständliche Tun komme. Ich ging in die Knie neben der Aschentonne. Jetzt könnte meinetwegen jemand Klavier spielen. Oder die Sonne könnte wieder scheinen. Aber daß 2 Nachbarkinder im Haus sind und mein totes Kind betasten, merken, daß sein Fleisch kälter wird, fester - steifer, sagt man, paßt mir nicht. Ich rufe sie. Ich schimpfe. Sie hauen ab mit ihren Rädern. Womit ich im Mund spüle, das ist Luft. Das ist zu bedeutsam.

Das ist die Gartentür. Ich öffne sie. In der Situation, in der ich war, war es wichtiger, einen Handgriff zu tun als ihn zu unterlassen, deswegen filmte ich auch. Deswegen war ich willens zu planen. Ich sah die Hecke, nahm mir vor, zur Hecke zu gehen, und gehe jetzt zur Hecke. Ich bin da. Ich gehe in die Hocke. Um mich das Gras. Das ist der Samenstand eines Löwenzahn. Ich seh umher, ich weiß nicht mehr warum. Das ist Kunst. Wenn einer von Kunst nichts versteht, soll er denken, daß ich den Text zu diesem Film an einem Faschingsdienstag gemacht hab.

Das ist eine Grimasse. Das ist ein Zeichen. Ich wollte das Filmen mimen. Jetzt tu ich die Haare ans Laub. Die Kinder wieder! Laßt den Leichnam in Ruh!

Keiner bewege die Luft in dem Raum, in dem mein totes Kind liegt.

Mein Kind ist ein Kadaver, wer könnte das von sich sagen.

Und jetzt, wenn das Kind käme - Ich bin der geniale Mensch, pflegte ich zu meiner Frau zu sagen, ich bin isoliert aufgewachsen und habe Fantasie. Ich bin frei aufgewachsen, und durch den Tod eines Kindes laß ich mir keinen Schwamm in den Kopf pflanzen. Wenn vor Weihnachten meine Großmutter von mir verlangte, ich sollte das Gansjung, das wir nicht wollten, einer befreundeten Familie in die Stadt fahren, hab ich mich hartnäckig geweigert.

Das ist tropischer Regenwald.
Das ist das Nachbarhaus.
Das ist mein Himmel.
Das ist mein Baum.

Das ist auf dem Baum, das ist in Farbe. Da war das Kind noch gesund und wir haben gespielt. Ich hab meiner Frau vorgeschrieben, wie sie die Kamera halten soll.

Lach nicht so blöd! Du bist tot. Du bist peinlich wie ein vermenschlichtes Tier. Wie ein Berg mit einer Nase. Du benimmst dich wie das Kind deiner Mutter. Sie ist schuld, daß das Kind nicht immer ganz im Bild ist. Du lachst und ich kann nicht weinen.

Ich spiel nicht gut. Denn ich habs immer schon gewußt. Ich hab mir immer schon mit einer Tasse Tee geholfen, be-holfen. Wenn ich sage, jetzt gibts immer noch den Fünfmarkschein in Papier, erwidert man, du bist blaß. Mich hat schon einmal ein Zahnarzt heimgeschickt, weil ich solche Zahnschmerzen hatte - ah, weil ich die Zähne nicht geputzt hatte. Ich hab mir zuhaus den Zahn mit einem Spagat herausgerissen. Damit hats sich, daß ich von meiner Frau weggeh. Ich find immer wieder jemand, der mich so mag, daß er für mich was tut.

Lauf doch mit deinem Nasenrammel rum in der Weltgeschichte!   

Ich verzieh mein Kind nicht. Aber meine Frau hat ihm luilabies vorgesungen, ich nicht. Sie hat das Kind zu sich ins Bett genommen, wenn der Krawat mitten in der Nacht weinte. Ich geh nicht 14 Tage ins Krankenhaus, bloß weil mir mein Kind im Schlaf seinen Fuß in die Nieren stampft. Was hab ich mir Gedanken gemacht, was aus dem Kind würde nach einer Trennung der Eheleute. Kriegt sie das Kind: das arme Kind. Hab ich das Kind, dann hab ich wieder das Kind und bin angehängt. Ich rede der Justiz nichts drein. Sieht er nicht aus wie ein Strizzi? sagte mein Freund in meiner Anwesenheit vor anderen Leuten. Den Schnurrbart hab ich aus Trauer abgenommen, ja Kind! in dein Grab hab ich meinen Schnurrbart hinabgeworfen.

Das ist meine Hütte unter dem Baum. Der Einlaß.

So ist sie gemacht. Das ist ein großer Kieselstein. Ich warte auf meine Frau. Wenn sie kommt, will ich sie vergewaltigen. Sie kommt nicht. Wie sag ichs ihr? Ich schreib einen Zettel. Den Schnaps hab ich in der Küche. Den Schnaps hatte ich in der Küche. Ich hole die Schnapsflasche aus der Küche. Das Schnapsglas sollte man in Farbe sehn. Der Schnaps verläßt mich. Das ist die Donau. Das ist der Bub. Das ist der Garten. Das ist ein Stöpsel.

Das ist zwischen den Beinen meiner Frau. Meine Frau wollte mich nicht mehr nach dem Tod des Kindes. Darum kommt jetzt alles in Farbe, weil ich meine Frau nicht mehr verstand.

Das ist eine Flasche Pott, weil ich auch Pott getrunken hätte, wenn es keinen Schnaps mehr gegeben hätte. Tiefblaue Seide hab ich mir umgelegt, weil ich der König bin. Hat sie was gesagt, hab ich ihr die Zunge hingestreckt. Das ist ihr Messer. Sie schneidet meine Zunge. Und ich halt ihr meine Zunge. So bin ich. So entgegenkommend wenn alle wären! Sie schneidet meine Zunge ab. Hat sie das von mir gelernt?- Herbert Achternbusch, L'État c'est moi. Frankfurt am Main 1972

Film Beschreibung


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Synonyme
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