Fieber  Sie hatten eines Abends lange zusammengesessen, als Mrs. Langdon, die ziemlich hohes Fieber hatte, plötzlich aus dem Zimmer und in ihr Haus hinüberlief. Der Major folgte ihr nicht sofort nach, da er sich einen leichten, behaglichen Whiskyrausch angetrunken hatte. Bald darauf war Anacleto, der Filipino der Langdons, jammernd mit weit aufgerissenen Augen ins Zimmer gestürzt, und sie waren ihm wortlos gefolgt. Sie fanden Mrs. Langdon bewußtlos im Bett liegen. Sie hatte sich mit der Gartenschere die Brustwarzen abgeschnitten.   - Carson McCullers, Spiegelbild im goldenen Auge. Zürich 1974 (zuerst 1941)

Fieber (2) Die Nacht brach herein, und das Fieber versetzte ihn sanft in einen Zustand, in welchem die Dinge hervorstachen wie durch ein Opernglas, leibhaftig und mild und zugleich ein wenig widerlich waren; als ob man sich einen langweiligen Film anschaut und denkt, auf der Straße ist es noch schlimmer, und daher bleibt.  - Julio Cortazar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main 1998

Fieber (3)  Zuerst war es ein Durcheinander, ein Anziehen aller für einen Augenblick abgestumpften oder verworrenen Empfindungen. Er begriff, daß er lief, und zwar in völliger Dunkelheit lief, obwohl oben der Himmel, durchkreuzt von Baumkronen, weniger schwarz als der Rest war. »Die Straße«, dachte er. »Ich bin von der Straße abgekommen.« Seine Füße versanken in einem Kissen aus Blättern und Schlamm, und er konnte keinen Schritt mehr tun, ohne daß die Zweige der Sträucher gegen seinen Oberkörper und die Beine schlugen. Keuchend, sich bewußt, daß er trotz der Dunkelheit und Stille umzingelt war, bückte er sich, um zu lauschen. Vielleicht war die Straße nah, mit dem ersten Licht des Tages würde er sie wieder sehen. Nichts konnte ihm gegenwärtig helfen, sie zu finden. Die Hand, die, ihm selbst nicht bewußt, den Griff des Dolches umklammert hielt, stieg wie ein Skorpion aus dem Sumpf zu seinem Hals empor, wo das schützende Amulett hing. Fast ohne die Lippen zu bewegen, sprach er leise das Maisgebet, das die glücklichen Monde bringt, und das Bittgebet an die Sehr Erhabene, die Spenderin der Güter der Moteken. Aber zur gleichen Zeit fühlte er, daß seine Knöchel langsam im Schlamm versanken, und das Warten im Dunkel des unbekannten Eichengehölzes wurde ihm unerträglich. Der erhabene Krieg hatte mit dem Neumond begonnen und dauerte schon drei Tage und drei Nächte. Wenn es ihm gelang, sich ins Waldinnere zu flüchten, indem er weiter oberhalb der Sümpfe die Straße verließ, würden die Krieger vielleicht nicht auf seiner Fährte bleiben. Er dachte an die vielen Gefangenen, die sie sicher schon gemacht hatten. Aber nicht die Masse zählte, sondern die heilige Zeit. Die Jagd würde weitergehen, bis die Priester das Zeichen zum Rückzug gaben. Alles hatte seine Zahl und sein Ziel, und er befand sich innerhalb der heiligen Zeit, auf der Seite der Gejagten.

Er hörte die Schreie und sprang, den Dolch in der Hand, mit einem Satz auf die Beine. Als ob der Himmel am Horizont in Brand geriete, sah er Fackeln, die sich zwischen den Zweigen bewegten, sehr nah. Der Geruch nach Krieg war unerträglich, und als der erste Gegner ihm an die Kehle sprang, fühlte er beinahe Lust dabei, ihm die Klinge aus Stein mitten in die Brust zu stoßen. Schon umgaben ihn die Lichter, die Freudenschreie. Er durchschnitt wohl noch ein- oder zweimal die Luft, doch dann fing ihn von hinten ein Seil ein.

»Das ist das Fieber«, sagte sein Bettnachbar. »Mir ist es genauso ergangen, als ich am Zwölffingerdarm operiert wurde. Trinken Sie einen Schluck Wasser, und Sie werden sehen, wie gut Sie danach schlafen.«   - Julio Cortazar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main 1998

Fieber (4)  Mit oder ohne Fieber, es saust mir immerfort und dermaßen in beiden Ohren, daß es nichts Neues für mich ist. Seit dem Krieg hat's mich. Der Wahnsinn ist hinter mir hergerannt... seit gut zweiundzwanzig Jahren. Das ist heiter. Er hat fünfzehnhundert Geräusche an mir ausprobiert, ein höllischer Lärm, aber ich bin noch schneller gerast als er, ich habe ihn umgelegt, ich hab ihn im finish besiegt. So ist es! Ich fasle, ich behexe ihn, ich zwinge ihn, mich zu vergessen. Seine große Nebenbuhlerin ist die Musik, sie ist am Grunde meiner Löffel eingeklemmt und quält sich dort ab... sie schreckt mich mit Posaunen auf, Tag und Nacht ist sie da. Ich habe alle Geräusche der Natur in mir, von der Flöte bis zum Niagara... Ich führe die Trommel spazieren und eine Lawine von Posaunen ... Wochenlang spiele ich Triangel... In puncto Trompeten nehme ich es mit jedem auf. Außerdem besitze ich für mich allein ein komplettes Vogelhaus mit dreitausendfünfhundertsiebenundzwanzig Vögelchen drin, die nie zur Ruhe kommen... Ich bin die Orgel des Weltalls ... Alles hab ich selbst geliefert, das Fleisch, den Geist und den Atem... Manchmal geht mir die Luft aus. Die Gedanken stolpern und wälzen sich am Boden. Ich bin nicht nachsichtig mit ihnen. Ich verfertige die Oper der Sintflut. Im Augenblick, da der Vorhang fällt, läuft der Mitternachtszug in den Bahnhof ein... Das Glasdach oben prasselt und stürzt ein... aus vierundzwanzig Ventilen strömt der Dampf aus ... Die Ketten prallen bis zum dritten Stock!... In weit offenen Waggons zerreißen dreihundert weinduslige Musiker mit ihren Instrumenten die Luft...

Seit zweiundzwanzig Jahren will er mich jeden Abend mitnehmen... genau um Mitternacht... Aber ich kann mich auch wehren... mit zwölf Zimbel-Symphonien, zwei Katarakten von Nachtigallen ... Einer vollzähligen Herde von Robben, die man bei kleinem Feuer brät... Ein schönes Stück Arbeit für einen Junggesellen... Das ist schon 'ne Leistung. Das ist meine zweite Existenz. Sie geht nur mich an.  - (tod)

 

Krankheit Hitze

 

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