esseln
Langsam bewegte sich Nick voran und kramte in den Taschen, wo er
seine Bärte und Perücken verwahrte, denn natürlich
wollte er sich verkleiden, ehe er das Gäßchen verließ. Plötzlich sprang
er mit einem gewaltigen Satze voran. Doch es war bereits zu spät; in demselben
Moment wirbelte ein geschickt geschleuderter Lasso über dem Haupt des Detektivs
und die Schlinge verstrickte sich gleich darauf um seine Kehle. Nick hatte
gerade noch die Geistesgegenwart, die eine Hand zwischen die Schlinge zu
bringen, sodaß ihm der Hals nicht zu eng zugeschnurt werden konnte; dann
fühlte er sich auch schon seines Halts beraubt. Mit letzter Kraft schleuderte
er seinen Hut in weitem Bogen vom Kopfe; dann fiel er der Länge nach nieder.
Doch im selben Moment wurde sein Körper auch schon wieder hochgerissen.
Der Strick straffte sich an und zog seine Körperlast an der Häusermauer
hoch, bis zu einem im ersten Stockwerk befindlichen Fenster.
Als der Detektiv sich in dieses gezogen fühlte, fiel sein Blick auf
fünf Männer. Drei von diesen zogen aus Leibeskräften am Seil, während die
beiden anderen zu beiden Seiten des Fensters standen und offenbar darauf
warteten, gleichfalls handelnd einzugreifen.
Nick begriff, daß Widerstand in seiner jetzigen Lage töricht gewesen
wäre. Die Kerle würden ihm einfach einen Knüttelhieb auf den Kopf versetzt
und ihn bewußtlos gemacht haben; er zog es jedoch vor, den Gebrauch seiner
fünf Sinne beizubehalten und ließ sich deshalb ruhig durch das Fenster
ziehen. Sofort beugte der eine der Burschen sich über seine Knie. Ein scharfes,
metallenes Knacken folgte und der Detektiv spürte, daß stählerne Spangen
um seine Kniekehlen gelegt worden waren, welche ihn am Gebrauch der unteren
Gliedmaßen völlig verhinderten.
Der andere hatte inzwischen um die Fußknöchel des Detektivs gleichfalls
ein paar stählerne Fesseln einschnappen lassen. Die drei übrigen Männer
hatten inzwischen den Körper des Gefangenen völlig durchs Fenster geschleift;
nun legten sie den Gefesselten auf die Diele — und im Nu waren sämtliche
fünf über den Detektiv hergefallen.
Sie rissen ihm die Hände zusammen und legten auch um diese schwere Fesseln,
während einer der Kerle Nick gewaltsam das Haupt zurückbog und zwei andere
ihm auf der Brust knieten.
Der Eifer, den die Burschen entfalteten, zeugte von so viel Angst vor
ihrem Opfer, daß der Detektiv, ganz seine bedrängte Lage vergessend, hell
hinauslachen mußte, sehr zur Verblüffung der Halunken,
welche ihn groß ansahen, aber nichts äußerten.
»Ihr macht mich stolz!« meinte er dann wegwerfend. »Ich habe schon mit
vielen verzweifelten Kerlen zu tun gehabt, doch noch niemals bin ich so
stark gefesselt worden, wie jetzt von Euch.« - Ein Dynamit-Attentat
(Nick Carter), aus: Die großen Detektive,
Bd. 2. Hg. Werner Berthel, Frankfurt am Main 1980, it 368)
Fesseln (2) Lesen
ist ebenso nützlich wie reizend. Wenn ich lese, bin ich ein harmloser, stiller
netter Mensch und begehe keine Torheiten. Eifrige Leser sind sozusagen ein stillvergnügtes
Völkchen. Der Leser hat seinen hohen, tiefen, langanhaltenden Genuß, ohne daß
er jemandem irn Weg ist oder jemandem etwas zu leid tut. Ist das nicht vortrefflich?
Das will ich meinen! Wer liest, der ist weit davon entfernt, böse Pläne zu schmieden.
Eine anziehende und unterhaltende Lektüre hat das Gute, daß sie uns zeitweise
vergessen macht, daß wir böse, streitsüchtige Menschen sind, die einander nicht
in Ruhe lassen können. Wer vermöchte diesem freilich ziemlich traurigen, wehmuteinflößenden
Satz zu widersprechen? Gewiß lenken uns Bücher oft auch von nützlichen und dienlichen
Handlungen ab; im großen und ganzen muß aber dennoch das Lesen als segensreich
gepriesen werden, denn es erscheint durchaus nötig, daß sich unserem ungestümen
Erwerbstrieb eine Bändigung und unserem oft rücksichtslosen Tatendrang eine
Betäubung sanft entgegenstellt. Ein Buch ist gewissermaßen
eine Fessel; man spricht nicht umsonst von fesselnder Lektüre. - A. Th. Steinlen, nach: Tintenfaß 2, Zürich 1981
