Feinslieb  »Nun war er wirklich mit der Liebe zu einem sonderbaren Geschöpf geschlagen. Die ganze heiße Nacht lang träumte er in den obersten Ästen des Baums mit den grünen Blättern, wo sein Nest war - denn er hatte Flügel, Ihr erinnert euch, wie auch Pfoten, Federn wie auch Fell, und Mitleid wie auch Zorn -, von ihr, die er liebte. Und so sah sein Feinslieb aus: sie war, wie auch er, von großen Gliedmaßen und einer Schönheit jenseits der Einbildungskraft und ganz jenseits dessen, was die Menschen den Zweck nennen würden. Sie war auf ihre Weise schrecklich, was einfach bedeutet, daß ihre Weise nicht unsere Weise war - und sie war für eine Jahreszeit des Erntens an die Erde gefesselt, danach sollte sie zu den Göttern zurückkehren. Ihre Füße hatten zierliche Hufe, und ihr Haar reichliche Kringel, und ihr Gesicht war noch nicht, und ihrer Brüste waren zehn.

Nun«, sagte Wendell, »war sie nicht Jungfrau wie andere Weiber, oder zu berechnen wie andere Leben, noch war sie geboren, wie wir, wegen äonenlangen Krauchens und Umhertobens in Fell und Federn, denn die Unterwelt war ihr Vater und Mutter, eins und dasselbe, so daß sie keine Naht in der Seele hatte, weder auf der einen Seite noch auf der anderen Seite, wie wir sie haben, und so könnt ihr euch vorstellen, wie schwer die Aufgaben der Liebe für Dingsbumsda sein mochten, denn nur ein Herz, beständig im Feuer der Leidenschaft gewendet, konnte sie angehen, ohne am Wegrand ohnmächtig zu werden.

Sie besaß ein Schaftal und ein Rindertal und ein kleines Stück Land, wo die Ziege war, und bestellte Erde unter sich. Wo immer sie ging, ging über ihr auch ein dichter Schwarm Vögel und rief: ›Eitelkeit, Eitelkeit, Eitelkeit!‹, aufdaß sie sich erinnere, in allen Teilen ihres vergessenden Leibes, daß auch sie zu einer Stunde ganz plötzlich sich niederlegen und den Tod erfahren müsse, denn zwischen ihrer Zeit fortzugehen und der Zeit des Fortgehens von Mensch und Tier lagen zehnhundertundzehn Jahre. So daß ihr das Vorübergehen von Mensch und Tier keinen Augenblick bedeutete, denn sie hatten kaum gesagt: ›Hier bin ich‹, da sagten sie schon mit dem Rückatem: ›Hier bin ich nicht.‹ So sagte man, sie kenne kein Mitleid, und höchstwahrscheinlich stimmte das«, fügte er hinzu, »denn Mitleid ist eine Sache des Atemholens zwischen ›Hier bin ich‹ und dem ›Hier bin ich nicht‹ und ihr Atem war keineswegs so kurz wie der unsere, sondern nahm einen langen Weg, und Tod auf Tod legte sich um sie her, zwischen Einatmen und Ausatmen, und keiner hat Mitleid, der andersartige Zeit hat als unsere Zeit. So nannte man sie ›die Heitere‹«.   - (ryder)

 

Liebchen

 

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