arbvariation
Was machen wir
z. B. aus Gavin Trefoil, für dessen Begabung es noch nicht mal einen Namen gibt?
(Rollo Groast plädiert iür Autochromatismus.) Gavin, der jüngste hier,
erst siebzehn, ist in der Lage, durch reine Willenskraft
eine seiner Aminosäuren, das Tyrosin, chemisch umzuwandeln. Dabei entsteht Melanin,
das braunschwarze Pigment, das für die Hautfarbe
des Menschen verantwortlich ist. Gavin kann diese Metabolisierung aber
auch unterdrücken, Indem er, so hat es den Anschein, den Phenylalaninspiegel
in seinem Blut verändert. Auf diese Weise kann er seine Hautfarbe vom geisterhaftesten
Albinoweiß über eine stufenlose Palette von Zwischentönen bis hin zu einem äußerst
intensiven, purpurnen Schwarz variieren. Wenn er sich konzentriert, vermag er
jede dieser Farben wochenlang aufrechtzuerhalten. Für gewöhnlich aber läßt er
sich ablenken oder vergißt es einfach und fällt dann stufenweise wieder in den
Normalzustand eines blassen, sommersprossigen Rotschopfs zurück. Man kann sich
vorstellen, wie nützlich er Gerhardt von Göll bei den Dreharbeiten zum Schwarzkommando-Streifen
war. Als variable Referenz half er, beim Schminken und Ausleuchten buchstäblich
Stunden einzusparen. Die beste Erklärung, wie er's macht, ist noch die von Rollo,
aber auch sie ist hoffnungslos vage: Wir wissen, daß die melaninbildenden Hautzellen,
die Melanozyten, bei uns allen in einem frühen Stadium der Embryoentwicklung
Teil des Zentralnervensystems sind. Während der Fetus wächst und das Zellgewebe
sich differenziert, lösen sich einige dieser Nervenzellen von dem ab, was später
das ZNS sein wird, und wandern an die Hautoberfläche, um zu Melanozyten zu werden.
Dabei behalten sie den typischen, dreiästigen Bau der Nervenzelle mit einem
Neurit und zwei Dendritenfortsätzen bei. Aber die Dendriten dienen jetzt nicht
mehr dazu, elektrische Signale zu übertragen, sondern sie transportieren Hautpigment.
Rollo Groast glaubt, daß eine bislang unentdeckte Verbindung besteht, eine Art
überlebendes Zellgedächtnis, das noch als Kolonie fühlt und auf die Botschaften
des Mutterlandes, des Gehirns, reagiert. Botschaften,
die dem jungen Trefoil gar nicht bewußt zu sein brauchen. «Es ist dies Teil»,
schreibt Rollo in einem Brief an Dr. Groast senior daheim in Lancashire und
übt subtile Rache für die Kindermärchen von der Hexe Grünzahn, die einst in
den Sümpfen lauern sollte, um ihn zu sich herabzuziehen, «Teil eines alten und
heimlichen Dramas, zu dem der Körper kaum mehr darstellt als eine beziehungsreiche
und oft kaum verständliche Programmnotiz - fast so, als wäre dieser Leib, den
wir vermessen können, nur ein Fetzen aus einem Programmheft, den wir auf der
Straße vor einem grandiosen steinernen Theater aufgelesen haben, das wir nicht
betreten dürfen.» - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei
Hamburg 1981
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