amilienzirkus
»War Schneefoot mit?« fragte mein Vater und kratzte sich.
»Nein, natürlich
nicht«, sagte mein Bruder.
Wieso sei das natürlich? Was? Er habe klar und
deutlich gefragt, dann könne er auch eine akkurate Antwort verlangen.
Er
spießte die Butterrose auf sein Messer und zerquetschte sie auf seinem Brot.
Wie es mit den Schularbeiten stehe, ob er die gemacht habe.
Man höre und sehe nichts.
»Denkst du etwa nicht?« sagte mein Bruder und sah
ihn gerade an.
Er solle nicht so frech sein, sonst kriege er ein paar hinter
die Löffel. Wie sähe er denn überhaupt aus!? Diese Haare! Wie'n Friseurlehrling,
völlig verbumfeit.
»Wie so'n Heini«, meinte Ulla, »oder ein Lui, besser noch:wie ein Lui. Wie
ein Lui.«
»Ja«, sagte meine Mutter, »er hat 'n richtigen Katerkopf.« Ordinär.
Widerlich. Ekelhaft. »Wenn du wüßtest, wie widerlich du aussiehst.« Er solle
mal in'n Spiegel gucken, ob er das schön fände. Frau Amtsgerichtsrat Warkentin
habe neulich schon gesagt: »Ihr Junge, läßt der sich eigentlich die Locken brennen?«
Mein Bruder aß gleichmütig weiter. »Was kümmert es die stolze Eiche, wenn
sich ein Borstenvieh dran wetzt.«
Da war das Maß voll. Mein Vater riß sich
die Serviette aus dem Kragen und schrie: »Rotzlöffel!« ging nach nebenan und
kam wieder.
Und meine Mutter rief: »Ich glaube wirklich, der muß mal tüchtig
welche hinter die Ohren haben. Wie isses nun bloß möglich!« Das tue ihm bestimmt
gut.
Der Kanarienvogel hüpfte auf seine Schaukel und fing an zu trällern.
»... man bittet, man fleht!« aber das würde jetzt anders, von morgen an herrsche
hier ein strenges Regiment, das könne er sich gesagt sein lassen. »... und du!«
(damit meinte sie mich) »du wackelst nicht so mit dem Stuhl! Das haben wir dir
auch schon tausendmal gesagt.«
Das sei ja wie bei Högfeld, sagte mein Bruder und schnitt das Fett vom Schinken
ab. »Familienzirkus«, ob wir das Bild kennten.
Da setzte sich mein Vater
wieder und stopfte die Serviette in den Kragen. Jungedi, sagte er mit schiefem
Mund, sowas hätte er sich bei seinem Vater aber nicht erlauben dürfen. Da habe
ein anderer Wind geweht.
Einmal, beim Ausholen mit dem Schacht, habe sein
Vater die Lampe kaputtgeschlagen. Zäng! Ein Regen von Glas. »Hurregottneja!«
Und dann natürlich gelacht.
»Ja«, sagte meine Mutter. Ihre Mutter habe an
ihr mal eine Rute zum Strunk gehauen, nur weil sie nicht »Gesegnete Mahlzeit«
habe sagen wollen.
»Mich hast du ja auch mal vorgehabt«, sagte Ulla, »in der Schlafstube, da
konnte ich dir nicht mehr entwischen. Mit dem Gelben Onkel.« Aua, wenn sie noch
dran denke... - Walter Kempowski, Tadellöser & Wolff. Ein bürgerlicher
Roman. München 1971.
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