Familiennachrichten   Mein Onkel war, die Wahrheit zu sagen, Scharfrichter, aber ein wahres Genie in seinem Beruf. Wenn man ihn bei der Arbeit sah, bekam man Lust, sich von ihm hängen zu lassen. Der also schrieb mir aus Segovia nach Alcalá folgenden Brief:

»Lieber Sohn Pablo! (denn so nannte er mich wegen der großen Liebe, die er zu mir hegte). Die vielen Obliegenheilen des Amtes, in das mich Seine Majestät eingesetzt hat, haben mir nicht gestattet, Dir früher zu schreiben; denn wenn der Dienst des Königs etwas Unangenehmes im Gefolge hat, so ist es die Arbeit, obgleich sie durch das bißchen Ehre, einer seiner Diener zu sein, wieder aufgewogen wird. Es tut mir leid, Euch nur wenig Erfreuliches melden zu können. Euer Vater ist gestorben, acht Tage sind es her, und er zeigte dabei den größten Heldenmut, den je ein Mensch beim Sterben gezeigt hat. Ich darf dies getrost behaupten, da ich ihn ja selbst gehenkt habe. Er bestieg den Esel, ohne einen Fuß in den Steigbügel zu setzen. Der Armesünderrock paßte so gut, als wäre er für ihn geschneidert; und da er eine so schöne Erscheinung war, mußte jeder, der ihn hinter den Kruzifixen reiten sah, meinen, er sei geradezu für den Galgen geboren. Er ritt mit größter Heiterkeit einher, blickte empor zu den Fenstern und verbeugte sich vor allen denen, die ihre Arbeit verlassen hatten, nur um ihn zu sehn. Zweimal strich er sich seinen Schnurrbart zurecht. Er bat die Beichtväter, sich Ruhe zu gönnen, und lobte ihre Worte sehr. Er setzte einen Fuß auf die Leiter und stieg hinauf, aber nicht etwa zögernd und auf allen vieren; und als er eine Sprosse zerbrochen sah, wandte er sich an die Gerichtspersonen und sagte, man solle sie für den nächsten ausbessern lassen, denn nicht alle besäßen seine Unerschrockenheit. Ich kann wirklich nicht genug rühmen, wie gut er uns allen gefiel. Oben angelangt, setzte er sich nieder, schlug die Falten des Rockes zurück, nahm den Strick, legte ihn sich selbst um den Hals, und als er sah, daß der Theatiner ihm etwas vorpredigen wollte, wandte er sich mit den Worten an ihn: »Ehrwürdiger Vater! Ich nehme es für geschehen, laßt nur noch ein bißchen vom Glauben hören; machen wir's kurz, denn ich möchte nicht langweilig scheinen!« Und so geschah's denn auch. Er riet mir, ihm die Kappe beiseite zu legen und ihm  den Bart abzuwischen, dies tat ich. Und ohne die Beine anzuziehen oder Grimassen zu schneiden, fiel er herab. Kurzum, er bewahrte eine Haltung, die nichts zu wünschen übrigließ. Ich vierteilte ihn, und die Landstraße wurde sein Begräbnisort, Gott weiß genau, wie sehr mich das schmerzt, daß ich ihn dort den Krähen zur offenen Tafel dienen sehen muß. Ich glaube aber, die Bäcker dieser Gegend halten uns dafür schadlos; denn sie werden ihn zu Viertelgroschenpastetchen verarbeiten.

Eure Mutter ist zwar noch am Leben, doch ich kann Euch von ihr fast dasselbe berichten: sie sitzt im Inquisitionsgefängnis in Toledo, weil sie sich über die Toten hergemacht hat, ohne daß man sie deshalb eine Verleumderin nennen könnte. Sie soll jede Nacht einen Bock mit dem Auge befriedigt haben, das keine Pupille hat. In ihrem Hause fand man mehr Beine, Arme und Schädel als in einer Wunderkapelle, tind das mindeste, was sie tat, war, daß sie Jungfrauen wiederherstellte und Mädchen auffrischte. Man sagt, sie werde bei einer Verbrennung am Dreifaltigkeitstag neben vierhundert weiteren Todeskandidaten eine große Rolle spielen. Es tut mir aufrichtig leid, daß sie uns alle und namentlich mich so um alle Ehre gebracht hat; denn schließlich bin ich doch ein königlicher Beamter, und solche Verwandtschaft paßt sehr schlecht zu mir. - Francisco de Quevedo, Das Leben des Buscón. In: Spanische Schelmenromane, Hg. Horst Baader. München 1965

Nachricht

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme