Familienkrankheit  Man führt uns in den Salon, man läßt uns auf ßiedermeiersesseln Platz nehmen und man erkundigt sich nach der Gesundheit, wie es uns gehe — meinerseits erkundige ich mich nach der Gesundheit, und die Rede nimmt ihren Lauf über Krankheiten, verfängt sich darin und läßt nicht mehr davon ab. Die Tante hat ein krankes Herz, Onkel Konstantin hat Rheuma, Zosia verfiel vor kurzem einer Anämie und neigt zu Erkältungen, hat kranke Mandeln, aber es fehlt an Mitteln zu einer gründlichen Kur. Zygmunt neigt ebenfalls zu Erkältungen und hatte überdies eine fatale Ohrengeschichte, nachdem er in Zugluft geraten war im vorigen Monat, als der Herbst mit Winden und Nässe gekommen war. Genug-es schien ungesund, gleich so nach der Ankunft alle möglichen Krankheiten der ganzen Familie anhören zu müssen, doch jedesmal, wenn das Gespräch nachzulassen begann, flüsterte die Tante: »Sophie, parle!« und Zosia, um das Gespräch in Fluß zu halten und zum Schaden ihrer eigenen Reize, brachte dann eine neue Krankheit aufs Tapet.

Ischias, Rheuma, Arthritis, Knochenreißen, Podagra, Katarrh und Husten, Angina, Grippe, Krebs und nervösen Ausschlag, Zahnschmerz, Plombieren, Darmträgheit, allgemeine Schwäche, Leber, Nieren, Karlsbad, Professor Kalitowicz und Doktor Pistak. Mit Pistak schien es enden zu wollen, doch nein, denn um die Rede im Fluß zu halten, fügt die Tante Doktor Wistak ein: er habe ein besseres Gehör als Pistak; und wieder Wistak, Pistak, Abklopfen, Ohrenkrankheiten, Halskrankheiten, Erkrankungen der Atemwege, schlecht schließende Klappen, Tröpfeln, Konzilium, Gallensteine, chronisches Sodbrennen, Schwäche und Blutkörperchen. Ich konnte mir nicht verzeihen, mich nach der Gesundheit erkundigt zu haben. Und doch hätte ich es unmöglich unterlassen können, mich nach der Gesundheit zu erkundigen. Besonders für Zosia war das eine Qual, und ich sah, wie schmerzlich es ihr war, sich um des Redeflusses willen über ihre eigenen Skrofeln zu äußern, doch schickte es sich nicht, gegenüber neu hinzugekommenen jungen Leuten zu schweigen. War das ein ständiger Mechanismus, wurde jeder so von ihm erwischt, der aufs Land gefahren kam, fing man auf dem Lande mit jedermann immer nur mit den Krankheiten an? Es war eine Kalamität des Landadels, daß es zu den uralten hergebrachten guten Manieren gehörte, Beziehungen von der katarrhalen Seite her anzuknüpfen, und darum sahen sie wohl auch so katarrhalisch und blaß aus im Scheine der Petroleumlampe, mit den Hündchen auf dem Schoß.   - (fer)

 

Krankheit

 

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