Falschgesicht  Nachdem Guter Geist die Welt eingerichtet hatte für die Menschen, folgte er eines Tages der Sonne auf ihrer Bahn, um sich sein Werk zu besehen. Er prüfte Berge und Flüsse auf ihre Nützlichkeit und kam schließlich an eine Waldlichtung. Hier gewahrte er mit einem Male ein seltsames Wesen, das in diesem Walde zu hausen schien. Nie zuvor hatte er solch ein Antlitz geschaut, und er war sicher, daß solche Häßlichkeit nicht von ihm gewollt war. Lang und strähnig hingen die Haare um die furchterregende Fratze, deren Nase ganz auf die rechte Seite verschoben zu sein schien, während der linke Mundwinkel nach der entgegengesetzten Richtung strebte. Groß und gespenstisch standen die Augen in dem dunkelbraunen Gesicht.

»Wer bist du, und was machst du hier?« fragte Guter Geist die seltsame Gestalt, die nur aus einem riesigen Kopf zu bestehen schien, unter dem der Körper fast völlig verschwand.

»Ich bin der wahre Herr dieser Welt«, war die Antwort, »denn ich war bereits hier, als du noch nicht einmal geboren warst. Ich war schon, als die Gehörnte Schlange noch nicht war; ich war schon alt, als die welttragende Schildkröte noch nicht einmal aus dem Weltenschlamm entstanden war. Dies war mein Reich, als selbst die Welt ein Nichts war.«

Guter Geist erwiderte: »Mir gehört diese Welt, denn ich habe sie geschaffen. Ich habe gewollt, daß diese Berge, diese Wälder entstehen sollten. Darum sind sie mein wie alles, was meinem Willen entsprungen ist.«

Darauf antwortete der Fremde, der niemand anderes war als das Falschgesicht: »Das mag schon sein, denn die Welt ist jung, verglichen mit mir. Ich bin hier gewesen von Anbeginn, und niemand wird mich von dieser Stelle vertreiben, denn ich bin mächtig.«    - Nordamerikanische Indianermärchen. Hg. Gustav A. Konitzky. Düsseldorf, Köln 1982 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

 

Gesicht Falsch

 

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