Fahrrad schieben    Unablässig durchforscht er sich scharfsinnig, wo er sich soeben befinde, und verläßt sich auf seine Erfahrung; er nennt sogar die Nummer und voran das staatliche Wappen der Straße, um seines Weges sicher zu sein. Eines anderen freilich ist er ganz ungewiß: es fügt sich nämlich, daß ihm allmählich die Worte und die Begriffe für das ausgehen, was zu ihm gehört; die Teile seines Leibes fahren unbekannt nebeneinanderher: unter ihm schleifen Füße über den Schotter, eine Faust führt den Griff eines Fahrrads, eine andere Faust klopft einen Stock an den Randstein; es geschieht ihm wieder wie einem, der sieht, dem aber gerade erst die Augen verbunden sind: er findet sich nicht zurecht und ist besorgt, den Weg zu verlieren; nur das Fahrrad ist es, an das er sich halten kann, während er sich am Rande der Straße voranschlingt; es mutet ihn an, als gehe er in einem zähen Schlamm oder flußaufwärts in einem Flußbett. Für die Finger der Blinden, fällt ihm ein, sind, wenn sie lernen, auf den Karten die Flüsse von dem Papier erhaben; sie werden mit Strängen eines dicken Leims überzogen, so daß die tastenden Finger von dem Ursprung der Flüsse mit bis ins Meer fließen können; auch die Grenzen eines Landes sind durch die gläsernen Stränge gezeichnet; oft haben einander seine Finger verwirrt, wenn er die Ströme und Grenzen nicht zu trennen vermochte.

Er verwünscht sein Gedächtnis, das ihn, was um ihn ist, vergessen macht; denn es schiert ihn jetzt keine Landkarte, auf der trotz seines mittlerweile gewachsenen Schattens er nicht einmal der Dreck einer Fliege wäre, sondern seine Schritte sind es, die ihn peinigen; die er kennt, ohne sie zu erkennen, und die er seine Schritte nennt: seine Schritte verstoßen ihn von der Straße mit dem bockenden vorderen Rad, das sich querstellt, oft und öfter ins Gras. Dies ärgert ihn daneben ob seines reinlichen Gewandes, auf das er zu achten gewohnt ist. So ist er bedacht, sich von dem rostigen Rahmen fernzuhalten; das Pedal, sooft er daran mit dem Fußknöchel rührt, verdammt er als tückisch, und das Schlurfen und Schlurren der Kette am Zahnrad verflucht er herrlicher und inbrünstiger als sein Vater.

Wenn er sich niederläßt, wird er sich nicht mehr erheben können; wenn er den Weg aber fortsetzt, wird der Weg ihn vertilgen. Er zieht es vor, zu gehen; denn wenn er hält, wird er vor Schwere in die Erde versinken.  - Peter Handke, Die Hornissen. Frankfurt am Main 1977

Fahrrad Schieben

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme