xistenzempfindung
Wenn man das Unsichtbare begreifen will, muß man so tief wie möglich ins Sichtbare
eindringen. — Mein Ziel ist immer, das Unsichtbare sichtbar zu machen durch
die Wirklichkeit. Es klingt vielleicht paradox, aber es ist tatsächlich die
Wirklichkeit, die das Geheimnis unseres Daseins bildet. — Deshalb brauche ich
kaum abstrakte Formen, denn jeder Gegenstand ist bereits unwirklich genug; so
unwirklich, daß ich ihn nur durch die Malerei wirklich machen kann. — Meiner
Meinung nach sind alle wesentlichen Dinge in der Kunst seit Ur in Chaldäa, seit
Tel Halaf und Kreta immer aus dem tiefsten Empfinden für das Mysterium unseres
Daseins entsprungen. — Das Ich ist das große verschleierte Mysterium des Daseins
... Ich glaube an dieses Ich und an seine ewige unveränderliche
Form . . . Darum bin ich so versunken in das Problem des Individuums und versuche
auf alle Weise, es zu erklären und darzustellen. Was bist Du? Was bin ich? Das
sind die Fragen, die mich unablässig verfolgen und quälen und die vielleicht
auch eine gewisse Rolle in meiner Kunst spielen. --- Darauf läuft doch schließlich
die ganze Kunst hinaus: Selbstgenuß, natürlich
in seiner höchsten Form, Existenzempfindung. — Wundervoll ist mir immer das
Zusammenkommen mit Menschen. Ich habe eine wahnsinnige Passion für diese Spezies,
--- Mysterium ist der richtige Kollektivbegriff, das Unbekannte, die einzige
<Wirklichkeit>, die wir feststellen können. — Der Glaube an das tatsächlich
vorhandene Lebensmysterium muß fest wie ein Stein sein. <Daß wir nichts wissen,
ist unsere größte Hoffnung.> --- Es hat ein wildes, fast böses Lustgefühl,
so mitten zwischen Tod und.Leben zu stehen. — Überall finde ich tiefe Linien
der Schönheit im Leiden und Ertragen dieses schaurigen Schicksals. — Ich habe
gezeichnet, das sichert einen gegen den Tod.
— Ich würde mich durch sämtliche Kloaken der Welt, durch sämtliche Erniedrigungen
und Schändungen hindurchwinden, um zu malen. Ich muß das, bis auf den letzten
Tropfen muß alles, was an Formvorstellungen in mir lebt, raus aus mir. Dann
wird es ein Genuß sein, diese verfluchte Quälerei los zu werden. - Max
Beckmann, nach: Walter Hess (Hg.), Dokumente
zum Verständnis der modernen Malerei. Reinbek bei Hamburg 1964 (rde 19)
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