xistenz   Man erzählt sich, daß ein Gelehrter »Canticles« irrtümlicherweise für eine Person hält, über die er Arbeiten schreibt und in der er den Verfasser verschiedener Werke sieht. Nach einigen Jahren entdeckt er, daß dieses Wort »Gesänge« heißt, und versucht, seinen Fehler zu korrigieren. Dabei muß er aber feststellen, daß andere Gelehrte seines Geistes Kind adoptiert haben und sich nun seinem Bemühen widersetzen, ihr Idol abzuschaffen. Sie greifen ihn an und werfen ihm vor, er habe keine Beweise dafür, daß »Canticles«, die Person, nicht existiert. - Sir Artur Eddington, nach: Arthur Young, Der kreative Kosmos. Am Wendepunkt der Evolution. München 1987 (zuerst 1976)

Existenz (2) Eine besondere Form seelischer Existenz ist das Gespenst. Dabei handelt sich um Erscheinungen toter Personen, die in der Regel nicht in das Reich der Seelen eingegangen sind. Der Grund für ein solches Schicksal ist meistens, daß diese Menschen kein übliches Begräbnis erhielten und deshalb noch nicht zur Ruhe kommen konnten. Auch jähzornige oder übelredende Menschen können als Gespenster sehr beunruhigen; man verschnürt ihre Leichen besonders fest. - Hans-Jürg Braun, Das Jenseits - Die Vorstellungen der Menschheit über das Leben nach dem Tod. Frankfurt am Main 2000 (it 2616, zuerst 1996)

Existenz (3)  Wenn ich tot gewesen wäre, warum war ich allein in der Stadt? Wo waren die andern unzähligen Toten, die mit mir zugleich starben? Von denen ganz zu schweigen, die zu irgendeiner Zeit vorher gestorben waren? Welch ein Gewimmel! Nein, ich konnte nicht tot sein. Denn so einsam, wie ich war, konnte nur ein Lebender sein. Viel eher hatte ich früher Veranlassung mich zu fragen, ob ich auch wirklich lebte, wenn ich mich mit anderen verglich. Oder wenn ich in einem Buch las, daß ein gesunder Mensch so und so zu leben habe. Oft wurde ich durch die Blicke der Leute auf der Straße beirrt. Sie musterten mich nicht so, wie sie es mit jedem Begegnenden zu tun pflegten. Wenn es ein Mann war, etwa um zu prüfen, ob sie sich mit ihm messen könnten. Und war es eine Frau oder ein Mädchen, ob sie liebenswert sei. Oder auch nur deshalb, um nicht mit dem Entgegenkommenden zusammen zu rennen. Wenn ich vorbeiging, war es anders. Sie stutzten, als wäre ich einen Augenblick vorher noch nicht dagewesen und unmittelbar vor ihnen aus einer Wolke getreten. Und wenn ich vorüber war, dann war ich auch schon gleich wieder für sie verschwunden und sie glaubten wohl, sich getäuscht zu haben, und dachten nicht weiter daran. Es war mir sehr unangenehm, sie zu erschrecken; darum ging ich gern auf die andere Seite der Straße, wenn es sich rechtzeitig machen ließ.  - Hans Erich Nossack, Nekyia. Bericht eines Überlebenden. Frankfurt am Main 1961 (BS 72, zuerst 1947)

Existenz (4)  Sicherlich gehört viel List oder Glück dazu, daß man auch in einem solchen Embryostand für voll genommen wird. Mein Freund Pilot hatte es jedenfalls niemals ganz so weit gebracht. Gewiß hat er seine Lage oft als recht beunruhigend empfunden - nicht mit Unrecht. In seinen blauen Augen stand oft ein schmerzhafter Widerschein des aussichtslosen Kampfes um eine wirkliche Existenz, der in ihm tobte. Wenn er gelegentlich einmal in sich eine ursprüngliche Neigung, einen ausgesprochenen Geschmack entdeckte, nützte er seinen Fund nach Kräften aus. Er konnte von seiner Vorliebe für diese oder jene bestimmte Weinsorte mit einer Beharrlichkeit sprechen, als sei es seine Absicht, dem Zuhörer diese bedeutende Tatsache für alle Ewigkeit ins Gedächtnis zu hämmern. Ein Philosoph, von dem ich auf der Schule gehört habe und der dir übrigens gefallen hätte, Mira, hat gesagt: ›Ich denke, folglich bin ich.‹ Ganz ähnlich verfuhr mein Freund Pilot; er wiederholte sich selbst und der Welt gegenüber fortwährend: ›Ich trinke lieber Mosel- als Rheinwein; folglich existiere ich.‹ Oder wenn ihm zum Beispiel ein Theater oder ein Kartenspiel gefiel, so kam er den ganzen Abend nicht mehr davon weg und sagte einem immer wieder:  ›So etwas hab ich nun gern.‹ Phantasie hatte er nicht die geringste, und zu allem Überfluß war er rechtschaffen wie ein Hackbrett. So war er völlig außerstande, etwas frei zu erfinden, und mußte sich ganz auf solche Liebhabereien beschränken, die er tatsächlich an sich beobachtet hatte, und deren waren immer verflucht wenige. Ich halte es für möglich, daß sein Mangel an Phantasie es war, der zwischen ihm und einer wirklichen echten Existenz stand. Wer etwas erschaffen will, das weißt du ja, Mira, der muß erst erfinden können, und da er nicht die Erfindungsgabe hatte, sich einen richtigen Friedrich Hohenems vorzustellen, brachte er überhaupt keinen Friedrich Hohenems zustande.

Ich hatte ihn, wie gesagt, nach einem meiner Hunde benannt, der ganz ähnlich veranlagt war: Er wußte niemals auch nur annähernd, was er wollte oder sollte, und ich mußte ihn schließlich erschießen. - (blix)

Existenz (5)

Existenz (6)  Ich gedenke der Zeiten, da ich nicht gezweifelt hätte, mich lebendig zu nennen, und ich zähle die Symptome des Existierens auf: die Enge des Körpers, die Angst der Seele, die die nächtlichen Träume nicht zuläßt, so daß nur noch Farbfetzen zu mir vordringen, wie Klagelaute von Träumen, die ich abgetrieben habe, oder unfertige Zeichnungen schlaffer und schludriger Körper; dann das schuldvolle Herausschlüpfen aus dem Schlaf, verdammt und vom Grauen gepackt bei der Berechnung der herannahenden Stunden. Und ich frage mich, ob nicht gerade das die Lage des Toten kennzeichne und ob ich nicht eben jetzt zur Hölle aufgefahren sei. - (hoelle)

 

Realität

 


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Verwandte Begriffe
Sein

Inexistenz

Synonyme
Dasein

Antonym