ule   Da es sich um einen Vogel handelt, benutzt der Dermoplastiker als zusätzliches Instrument einen Haken, mit dem er die Sehnen aus den Läufen entfernt. Um den Fäulnisprozeß zu verzögern und zu verhindern, daß nur das Skelett zu gebrauchen ist, injiziert er dem frischtoten Tier Brennsprit unter die Bauchdecke. Die Eule, die mit dem Einbruch der Dämmerung zu leben begann, liegt im Lichtkreis einer Arbeitslampe. Der Präparator stopft ihr Watte in Hals, Mageneingang und After. Er führt eine Nadel durch die Nasenlöcher und verknotet den Bindfaden. Dann zieht er dem Vogel, den er auf den Rücken gedreht hat, eine Linie über die Brust. Im Gefieder, das sich mit seinen braunen und schwarzen Tönen der Nacht anpaßt, legt ein Scheitel die Haut frei. Entlang dem Brustbein, das durchschimmert, vollführt der Präparator mit dem Skalpell einen Längsschnitt. Damit die Federn an den Schnitträndern nicht verschmutzen, bestreut er diese mit Kartoffelmehl und verwendet solches auch, um das Fett zu binden, und dafür, daß das gelöste Fleisch nicht wieder anklebt. Zum Entfleischen der Beine drückt er die Unterschenkel gegen die geöffnete Brust. Er durchschneidet mit einer Schere die Kniekehlen, so daß die Unterschenkel am Balg. hängen bleiben. Er löst den Schwanz, indem er die Wirbelsäule genau vor den Kielen durchtrennt, ohne deren Ansätze zu verletzen. Nachdem er auch die Arme enthäutet hat, schiebt er, langsam und gleichmäßig, die Haut über den kurzen Hals und die Halshaut Stück für Stück über den Kopf. Er achtet darauf, nicht die Ohrenklappen einzureißen, mit denen die Eule die empfindlicheren Gehörgänge im Innern schützte. Mit gleicher Vorsicht macht er sich an die Augen. Er schneidet die Hornhaut entlang der Iris, so daß sich die Augenflüssigkeit entleeren kann; nachdem er die Augenbecher mit Watte gesäubert hat, füllt er Ton ein. Wenn die Augen freigeschnitten sind, hebt er die Kopfhaut bis zur Schnabelwurzel ab. Danach räumt er den Schädel aus; da es ihm nicht gelingt, das Hirn als Ganzes nach hinten zu ziehen, kratzt er es stückweise mit einem Spachtel heraus. Er füllt die Schädelhöhle mit knetbarem Ton und belegt auch den Unterkiefer mit einer dünnen Tonschicht. Dann reinigt der Präparator Kopf- und Halshaut vom Fettgewebe, bepinselt sie mit einer Arseniklösung und vergiftet auch den Schädel gegen künftigen Insektenfraß. Nun zieht er die Kopfhaut wieder über und richtet die befiederten Ohrenklappen hoch, als sollten die beweglichen Schalltrichter nach wie vor das leiseste Geräusch auffangen und die Stelle orten, wo eine Maus piepst oder raschelt.  - (loe)

Eule (2)   Ich stellte mir meinen Gesprächspartner oder sonst jemanden aus meiner Bekanntschaft vor mit einer kleinen Eule, die auf seinem Kopf saß. Und auf dem Kopf der Eule wiederum lag, gut sichtbar, ein Exkrement. Die Eule war skulptiert, und das Exkrement sollte eins von mir sein. Die Wirkung des kottragenden Vogels war verschieden, je nach den Personen, auf denen balancierend ich ihn mir vorstellte. Bei manchen erreichte die komische Wirkung den höchsten Grad, bei anderen ging das nicht. Ich mußte die Eule auf dem Kopf ändern, häufig mehrmals, bevor ich die fand, die meinen Wünschen genau entsprach. Doch wenn ich sie dann hatte, konnte nichts meine Freude übertreffen, das Gesicht der Person, die gar nicht wußte, was ich ihr da eben auf den Schädel gesetzt hatte, und den starren Blick des Vogels zu betrachten. - Salvador Dalì, nach: Friederike Mayröcker, Magische Blätter III, Frankfurt am Main  1991 (es 1646)

Eule (3)

Mein armes Herz: der Eule gleich!
Genagelt, frei, nochmals ins Fleisch getrieben
Die Nägel, blutvoll, glutenreich ...
Ich lobe alle, die mich lieben.

- Guillaume Apollinaire, Bestiarium. Übs. Karl Krolow. Giessen 1959

Eule (4)  »Hier haben Sie das letzte auf der ganzen Welt arbeitende Salzbergwerk mit Steiler Lagerung - so heißt das in unserer Sprache. Hier, in einem Kilometer Teufe, so heißt das in unserer Sprache.« Sie, auf sein Spiel eingehend: »Gibt es Lebewesen da?« - Er: »Nein, dazu ist es im Salz zu trocken. Nur kein Wasser im Bergwerk. Bei einem Wassereinbruch wäre es um den Salzdom geschehen. Selbst für Fledermäuse ist es zu trocken hier. Einmal freilich bin ich in der Nische eines Seitenstollens, weiter oben im Dom, auf eine Schleiereule gestoßen. Sie hat gelebt, und sie hat sich von mir ohne weiteres anfassen und retten lassen. Noch nie habe ich den Ruf einer Eule als Dankesruf gehört: aber ein solcher kam dann, bei ihrem Wegfliegen, oben im Freien. Sie ist wohl durch den Luftstrom am Eingang zum Entlüftungsschacht hinab in die Stollen gesaugt worden, und wer weiß, wie lange sie schon da in der Salznische saß.«   - Peter Handke, Kali. Eine Vorwintergeschichte. Frankfurt am Main 2008


Eule (5)  Warum schilt dich der Mensch einen Nachtfalter? Weil du ihm nicht schöntust? Weil du ihm nicht im Lichte des goldenen Tages dein Lied singst, damit er dir lauschen, dich erspähen, dich totschießen und dich verspeisen kann? Du schmeichelst weder seinem Ohr noch seinem Magen. Gegen Abend, wenn die Sonne erlischt und aus der Ewigkeit des Himmels, dessen Rätsel der Mensch vergeblich zu lösen versucht, die geheimnisvollen Sterne sprießen, erscheinst du ganz unerwartet, in weichem Flug von einer Turmkuppel zur andern schwirrend, und geduckt zwischen Schattenwogen jagst du ihm Schrecken ein. Welch düstere Sünden belasten des Menschen Gewissen, daß er sich vor dir ängstigt wie vor einem unheilverkündenden Zeichen? Ich fand dich stets auf der Spitze des Kreuzes und auf den höchsten Glockentürmen.

Der Mensch ist dir auch deshalb feind, weil du, im alten Gemäuer hockende Einsiedlerin, du Freundin der Geister und Gespenster, die du dich zwischen Käuzen und den Fledermäusen mit ihren ledernen Flügeln in deiner Welt verschließt, dich ihm nicht zugesellst. Er glaubt, der Mensch, daß du den Todeszauber über ihn wirfst, wahrend du ihn doch nur verachtest. In der gewaltigen Sankt-Nikolaus-Kirche auf der Klosterinsel schwangst du dich des Nachts während der Mette von der Altar wand auf den Kronleuchter, und wir spürten, während wir auf die Knie sanken und tief uns neigten, das samtene Flattern deiner stummen Fittiche. Die Mönche hatten sich zu einer Totenmesse versammelt; im Gewölbe der Kirchcngruft lagen Tausende von Schädeln aneinandergereiht, alle  mit dem gleichen hohlen Blick, und dennoch bekamen es die Klausner, die Äbte, die Beichtväter ebenso wie die jungen, zaghaften Kaplane in ihren Kirchenstühlen mit der Angst vor dem Boten der erfüllten Geschicke, der mitten unter ihnen weilte.

Du, schone Eule, bist die Verkünderin des Endes! Du, stiller Vogel der Dämmerung und der Mitternachtsstunde! Du trägst eine törichte Schuld. Würdest du nicht den Parzen in Erinnerung rufen, daß man seinen Lebensfaden durchschneiden müsse, dein Verleumder würde vielleicht gar nicht mehr sterben. Höre ich dich einmal nicht im regenbogenfarbenen Dunkel, das den Schlaf einhüllt, auf dem First meiner Behausung rufen, erstaunt auch du über das ewige, unentrinnbare Vorübergleiten der Dinge, so bin ich besorgt. Wo steckt die Eule, die ein Leben lang in jeder durchwachten Nacht meine Seele umschwirrt? Du warst auf Wanderschaft.

Hätte dich der Mensch aus der Nähe betrachtet, wie ich dich zweimal gesehen, er hätte dich wie eine aschgraue Dahlie geliebt, die sich welk vom Stiel gelöst. Ich fand dich einmal tot auf dem Altar eines kleinen, abgelegenen Stiftes des Fürsten Tepes. Du warst vor kurzem auf der Steinplatte entschlafen, auf der einst der Gottesdienst verrichtet wurde. Ich blies in deine Flaumfedern und hauchte deine Lider an, doch du konntest nicht wieder erwachen. »Die arme Eule, nun ist auch sie tot!« sprach die Nonne Fevronia, die mich begleitete, den Totensegen murmelnd. Ein andermal erfaßte dich hoch in den dämmrigen Lüften ein Taumel, du zögertest eine Weile am Abendhimmcl, umkreistest mich in nahem Bogen und fielst mir in die Hände, die sich dir wartend entgegenstreckten. Ich behielt dich bei uns, als wärst du ein Toter aus unserer Gemeinde, und bettete dich auf einen Tisch, den ich aus dem Weichselbaum gezimmert, durch dessen Zweige du geflattert warst.
Du sprachst vielleicht davon, daß in dem weißen Haus gegenüber den anderen Türmen mit den zwei spitzen Ziegeldächern die Freunde deines gefiederten Falterstammes wohnen. Denn auf den Balken sitzen, unter dem erblühten Abcndstern, die Nonnen mit ihren weiten Schleiern, Seite an Seite, die ganze Nacht lang versonnen da und blicken zum Himmel und über die Erde.  - Tudor Arghezi, nach (arc)


Vogel

 


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