Ethnograph  Weil ich meinte, es fehle mir ein wenig die Erfahrung einer härteren Lebensweise, nutzte ich die Gelegenheit, eine lange Reise zu machen, und verreiste als Mitglied einer ethnographischen Expedition für fast zwei Jahre nach Afrika. Nach Monaten der Keuschheit und der Entsagung, während eines Aufenthaltes in Gondar, verliebte ich mich in eine Äthiopierin, die physisch und moralisch meinem doppelten Ideal der Lucretia und der Judith entsprach. Sie hatte ein schönes Gesicht, aber eine verfallene Brust und war in eine Toga von meist mehr als zweifelhaftem Weiß gewickelt, roch nach saurer Milch und besaß eine junge Negerin als Sklavin; sie sah aus wie eine Wachsfigur, und die bläulichen Tätowierungen, die sich ringförmig um ihren Hals legten, hoben ihren Kopf etwa wie ein durchsichtiger steifer Kragen, oder als hätte der Halsring einer lange zurückliegenden Marter auf ihrer Haut seine Spuren wie eine Stickerei zurückgelassen. War sie vielleicht nur ein neues Bild — diesmal in Fleisch und Blut — jenes Gretchens mit dem durchschnittenen Hals, deren Gespenst ich in der Oper niemals hatte richtig sehen können? Sie war syphilitisch und hatte mehrere Fehlgeburten gehabt. Ihr erster Ehemann war geisteskrank geworden, der letzte hatte sie zweimal töten wollen. Da sie, wie alle Frauen ihrer Rasse, die Klitoris amputiert hatte, mußte sie frigide sein, zumindest Europäern gegenüber. Als Tochter einer Art Hexe, die von verschiedenartigen Geistern besessen war, verstand es sich von selbst, daß sie diese Geister erben würde, und einige von ihnen hatten sie bereits mit Krankheit geschlagen und sie auf solche Weise als eine Beute gekennzeichnet, die sie unweigerlich in Besitz nehmen würden. Als sie einmal einen weiß und rot gefleckten Widder für einen dieser Geister hatte töten lassen, sah ich sie in der Trance keuchen, und - im Zustand völliger Besessenheit - das Blut des Opfers, das ganz heiß aus der durchschnittenen Kehle strömte, aus einer Porzellantasse trinken. Niemals habe ich mit ihr geschlafen, aber als dieses Opfer stattfand, schien es mir, als knüpfte sich zwischen ihr und mir eine Beziehung, inniger als jede Art von fleischlichem Verhältnis. Nach meiner Abreise von Gondar hatte ich schließlich im »heißen Viertel« von Djibouti einige Zufallsbegegnungen mit Somalimädchen; dennoch habe ich von diesen lächerlichen und unglücklichen Liebschaften einen paradiesischen Eindruck bewahrt.   - (leiris3)

Ethnograph (2)

- Burkhard Fritsche

Ethnograph (3) 1932, er war damals dreiundzwanzig Jahre alt, brach er allein nach Sumatra auf. Mit einem lächerlichen Gepäck beladen, das so weit wie möglich Instrumente, Waffen und Geräte der westlichen Zivilisation vermied und sich vor allem aus traditionellen Geschenken zusammensetzte - Tabak, Reis, Tee, Reifen und Ringe -, nahm er einen malaiischen Fremdenführer namens Soelli in seinen Dienst und versuchte, im Einbaum den Fluss Alritam, schwarzer Strom, hinaufzufahren. In den ersten Tagen begegneten sie einigen Heveagummizapfern, einigen Transporteuren kostbarer Hölzer, die mächtige Baumstämme mit dem Strom heranführten. Dann blieben sie völlig allein.

Das Ziel ihrer Expedition war ein Phantomvolk, das die Malaien die Anadalams oder auch die Orang-Kubus oder Kubus nennen. Orang-Kubus heißt »die, die sich wehren« und Anadalams »die Söhne des Innern«. Während fast die Gesamtheit der Bewohner Sumatras sich in der Nähe des Küstengebiets angesiedelt hat, leben die Kubus im Zentrum der Insel, in einer der unwirtlichsten Gegenden der Welt, einem drückend heißen, mit Sümpfen bedeckten Wald, in dem es von Blutegeln wimmelt. Doch mehrere Legenden, mehrere Dokumente und Spuren scheinen beweisen zu wollen, dass die Kubus einst die Herren der Insel gewesen sind, bevor sie, von den aus Java gekommenen Eindringlingen besiegt, im Herzen des Dschungels ihre letzte Zuflucht suchen mussten.

Soelli war es ein Jahr zuvor gelungen, den Kontakt mit einem Kubu-Stamm herzustellen, dessen Dorf in der Nähe des Flusses gelegen war. Appenzzell und er kamen nach dreiwöchiger Flussfahrt und Fußmarsch dort an. Doch das Dorf - fünf Häuser auf Pfählen - war verlassen. Appenzzell vermochte Soelli davon zu überzeugen, weiter den Fluss hinaufzufahren. Sie fanden kein anderes Dorf und nach acht Tagen beschloss Soelli, die Rückreise ins Küstengebiet anzutreten. Appenzzell blieb eigensinnig und schließlich drang er, Soelli den Einbaum und fast seine gesamte Ladung überlassend, allein, nur mangelhaft ausgerüstet, in den Wald ein.

Nach seiner Rückkehr zur Küste benachrichtigte Soelli die holländischen Behörden. Es wurden mehrere Suchexpeditionen gestartet, die aber zu keinem Ergebnis führten.

Appenzzell tauchte fünf Jahre und elf Monate später wieder auf. Eine Grubenschürfmannschaft, die im Motorboot unterwegs war, entdeckte ihn an den Ufern des Flusses Musi, mehr als sechshundert Kilometer von seinem Ausgangspunkt entfernt. Er wog neunundzwanzig Kilo und war nur mit einer Art Hose bekleidet, die aus zahllosen zusammengenähten kleinen Stoffstücken bestand und von offensichtlich intakten gelben Hosenträgern gehalten wurde, die allerdings ihre Elastizität völlig verloren hatten.  - (per)

 

Forscher Ethnographie

 

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