selsgeschrei Noch ehe wir einen Wildesel
zu Gesicht bekamen, trug uns ein Windhauch auf große Entfernung seine
stechende Witterung zu, die alle bösen Dinge zu bestätigen schien, die
der Studentenwitz von Jena und Halle dem Waldesel nachzusagen pflegt,
der seit Apulejus' Zeiten in der Zotologie eine bedeutende Rolle spielt.
Wir brauchten uns also nur unter dem Winde zu halten, und unsere
Spannung erinnerte mich ein wenig an die Augenblicke sinnlicher
Erwartung, die man als Kind in den von Schweiß und Elefantenwitterung
geschwängerten Zirkuszelten erlebt. Wirklich scheuchten wir bald zwei
Tiere aus ihrem Mittagslager auf — ein braunes Weibchen, von einem
mausgrauen Füllen gefolgt, beide mit einem langen schwarzen
Rückenstrich. Ihre Bewegungen hatten durchaus nichts Phlegmatisches, sie
eilten vielmehr in einem schlanken Mitteltrab über Stein und Strauch
dahin und stießen dabei ihr gellendes, von den Wänden des felsigen
Kessels wie von einem Resonanzboden verstärktes Eselsgeschrei aus. In
diesem Geschrei paart sich auf seltsame Weise der Schmerz mit dem
Übermut, und zwar behält der Schmerz das letzte Wort. Hier allerdings,
inmitten der glühenden Einsamkeit, hatte die Erscheinung dieser Tiere
etwas ungemein Erheiterndes; sie machte uns mit einem Schlage den
satyrhaften Charakter der Landschaft offenbar. Der Satyr liebt solche
Schauplätze, auf denen offene Flächen schattigen Gebüschen vorgelagert
sind; und es geht aus den Berichten hervor, daß der phallische Teil der
Dionysosmysterien sich im wilderen Gürtel oberhalb der Grenze des
Weinbaues vollzog. Bei diesen Feiern trat übrigens auch der Onozentaur
auf, eine Durchdringung von Menschen- und Eselsgestalt. - Ernst Jünger, Aus der Goldenen Muschel. Gänge am Mittelmeer. Stuttgart 1984 (entst. 1929 ff.)
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