Es hinter sich bringen wollen    »Ach ja, da war noch was ganz Komisches, was ich gemacht hab.« Sie erzählte, wie sie dagelegen hatte in der Dunkelheit, neben dem schnarchenden Gowan, wie sie dem Liesch gelauscht und die Finsternis durchhorcht hatte, die voller Bewegungen war, und wie sie gespürt hatte, wie Popeye herankam. Sie hatte das Blut in ihren Adern pochen hören, und die kleinen Muskeln in ihren Augenwinkeln waren ganz schwach immer weiter und weiter aufgesprungen, und sie hatte gespürt, wie ihre Nasenflügel abwechselnd kalt und warm wurden. Dann hatte er über ihr gestanden, und sie hatte immerfort gesagt, Komm doch. Faß mich an. Faß mich an! Du bist ein Feigling, wenn du's nicht tust. Feigling! Feigling!

»Ich wollte endlich einschlafen können, verstehn Sie. Und er stand bloß einfach weiter da. Ich dachte, wenn er doch bloß endlich macht, daß ich's hinter mir habe und einschlafen kann. Deshalb hab ich gesagt, du bist ein Feigling, wenn du's nicht tust! Du bist ein Feigling, wenn du's nicht tust! und ich hab schon richtig gespürt, wie mein Mund anfangen wollte zu schreien und die kleine heiße Kugel in einem drin, die schreit. Dann hat er mich angefaßt, mit der widerlichen kleinen kalten Hand, und in dem Mantel rumgefummelt, wo ich nackig war. Es war wie lebendiges Eis, die Hand, und meine Haut ist richtig zurückgesprungen davor, wie diese kleinen Fliegefische vorne vor einem Schiff. Es war so, wie wenn meine Haut genau gewußt hätte, wo die Hand hingeht, bevor daß sie sich da wirklich hinbewegte, und meine Haut ist immer weggezuckt vorher, wie wenn dann da nichts mehr wäre, wenn die Hand hinkam.

»Ich hatte ja nichts mehr gegessen seit gestern zu Mittag, und in mir drin fing alles an zu blubbern und so, und dann machte der Liesch auch soviel Lärm, also ganz komisch, wie wenn er am lachen wäre. Ich hab gedacht, er lacht vielleicht mich aus, weil ich mich doch die ganze Zeit noch nicht in einen Jungen verwandelt hatte.

»Ja, und das war das Komische daran, weil, ich hab nämlich gar nicht geatmet. Schon ganz lange hatt ich nicht mehr geatmet. Deshalb dacht ich auf einmal, ich wäre tot. Und da hab ich was ganz Komisches gemacht. Ich konnte mich selbst im Sarg liegen sehen. Ich sah süß aus - verstehn Sie: ganz in Weiß. Ich hatte einen Schleier um wie eine Braut, und ich war am weinen, weil ich tot war oder so süß aussah oder sonst was. Nein: es war, weil sie den Liesch in den Sarg getan hatten, deswegen war es. Ich hab geweint, weil sie den Liesch in den Sarg getan hatten, wo ich tot war drin, aber die ganze Zeit könnt ich fühlen, wie meine Nase kalt und heiß und kalt und heiß wurde, und konnte die ganzen Leute sehn, wie sie um den Sarg saßen und andauernd sagten, Sieht sie nicht süß aus. Sieht sie nicht süß aus.

»Aber ich, ich hab immer bloß gesagt, Feigling! Feigling! Faß mich doch an, Feigling! Ich bin ganz verrückt geworden, weil er derart lang machte. Ich hab auch zu ihm geredet. Ich hab gesagt, glaubst du eigentlich, ich lieg hier die ganze Nacht bloß so rum und warte auf dich? Das hab ich gesagt. Ich will dir mal was sagen, was ich gleich mache, hab ich gesagt. Und ich hab dagelegen, und der Liesch hat dauernd gelacht, ausgelacht mich, und ich hab gedacht, wie ich zu ihm reden würde, daß ich wie der Lehrer in der Schule zu ihm reden würde, hab ich gedacht, und dann war ich auf einmal Lehrer in der Schule, nein, Lehrerin, und die Hand war ein kleines schwarzes Ding wie ein Niggerjunge, so ähnlich, und ich war die Lehrerin. Ich hab dann nämlich gesagt, Wie alt bin ich ? und ich hab gesagt, Ich bin fünfundvierzig Jahre alt. Ich hatte eisengraues Haar und eine Brille, und obenrum war ich ganz dick, so wie Frauen werden. Ich hatte ein graues Kostüm an, und dabei könnt ich doch Grau nie tragen. Und dem kleinen Ding hab ich andauernd gesagt, was ich mit ihm machen würde, und dann wich es immer nach oben zurück, wie wenn es den Stock schon sehn könnte.

»Dann hab ich gesagt, So geht das doch nicht. Ich müßte eigentlich ein Mann sein. Und dann war ich auf einmal ein alter Mann, mit einem langen weißen Bart, und da wurde der kleine schwarze Mann immer kleiner und kleiner, und ich hab dauernd gesagt, Jetzt. Jetzt siehst du doch. Ich bin ein Mann jetzt. Dann hab ich gedacht, daß ich ein Mann werde, und kaum wie ich das gedacht hatte, da war es auch schon passiert. Ich konnte's fühlen, und ich hab ganz still gelegen dann, daß ich bloß nicht an zu lachen fange, vonwegen was für ein Gesicht er machen würde, wenn er's merkt. Und dann auf einmal bin ich eingeschlafen. Ich bin nicht wieder aufgewacht, bis die Frau kam und mich rüberbrachte in die Kornkammer.«    - William Faulkner, Die Freistatt. Zürich 1981  (zuerst 1931)

Schluß

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