Prwachen, vorzeitiges  Neulich nachts wachte ich auf und stellte fest, daß ich, sozusagen, in der (pechschwarzen) Dunkelheit hellwach war. (All dies ist eine reine Privatangelegenheit.) Streichhölzer. Die Hand schweift. Eine Flamme zischt. Die Zeit? Es ist genau  4.15 Uhr. Ich halte mir die goldene 18-Steine-Zwiebel ans Ohr. Ich erkenne den kräftigen, dringlichen Takt des Schwyzer Vollblüters. Was ist dies? Er hat eine Kerze angezündet. D. h ich habe eine Kerze angezündet. Zu welchem Zweck? Um desto besser eine Zigarette anzuzünden. Zigarette glimmt, um dann fängt das Husten an. Aber was ist dies? Eine große flammende Fackel neben meinem Bett. Die Kerze ist bis zum Papier heruntergebrannt, das unten um sie herum gewickelt ist Üppig mit Wachs getränkt, lodert das Papier gewaltig. Groteske Lichteffekte spielen auf dem hohlen, von Druckerzeugnissen halb wahnsinnigen Gesicht. Und was ist dies, was jetz auf diesem »Antlitz« erscheint? Furcht? Ja, FURCHT. Furchi vor Feuer. Freud. Frühkindlich-flüchtige Verbrennung. Bald wird das Haus ein Flammenmeer sein, das Bett wird spratzeln und brutzeln, während die Federn in Rauch aufgehen KRACH! Die flache Hand hat mit entsetzlichem Klatscher zugeschlagen, hat die Flamme inmitten stechender Stearin-Gerüche gelöscht. Jetzt wieder Dunkelheit, nichts als das geisterhafte Zigarettenglimmen. Mehr Husten.

Was mache ich jetzt? Die halbgerauchte Zigarette wurde wild auf dem kostspieligen Nachttisch ausgedrückt. Ich bin aus dem Bett gestiegen. Der Kleiderschrank. Ein Stuhl wird hastig zu ihm hin gezerrt. Hinauf auf den Stuhl. Die Hände tasten ins oberste Fach, Spinnweben und Staub und Schmutz. Eine alte Zeitung raschelt. Connaught Tribune. Dienstag, 15. August 1939. Grabbel grabbel grabbel. Ich habe ihn. Ein schmutziger alter Geigenkasten wird heruntergehoben. Herauskommt in der Dunkelheit ein schmuckes rotes Instrument von hohem Alter. Ich schraube am Bogen. Die Saiten werden leicht berührt, um die Tonhöhe festzustellen, die stählerne e-Saite wird mit der winzigen Schraube gestimmt, die anderen mit den Wirbeln. Bald durchschneidet ein gräßliches Jammern die Nacht, Tosellis Serenata. Ah-da-da, da-Da-da-da.

Draußen vor dem Haus sind Schritte zu hören. Ein Trunkenbold auf dem Heimweg. Tapp tapp tapp. Dann keine Schritte mehr. Er lauscht. Doch was ist dies? Wieder Schritte, schneller diesmal. Er rennt weg. Verängstigt. Musik, fern aller Erdenschwere, spät in der Nacht. Kleine Kapelle von Kobolden. Gespenster. Kopflose Geiger, Phantom-Instrumente gegen imaginäre Kinnladen gedrückt.

Die Musik bricht jäh ab. Bogen und Fiedel werden wie im Wahn eilig in den Kasten gestopft. Hinauf auf den Stuhl. Alles ist wieder wie zuvor.

Gehe ich zurück ins Bett? Nein. Hunger. Hohles Gefühl im Magen. Bare Füße trippeln auf billigem Linoleum treppab. Ist irgendwas im Hause? Streichhölzer zischen, Kopf wird in Schrank gesteckt. Ein Klumpen Brot. Keine Butter. Keine wie auch immer geartete Butter. Nichts. Doch was ist dies? Van Houten, eine Büchse Kakao. Seit sechs Jahren unberührt. Ein bißchen Zucker am Tütenboden. Dann rasende Aktivität. Kakao und Zucker werden leichtsinnig über das Brot verstreut. Mund wird mit krachend krustigem Krümelkram beschickt.

Behende bibbernd zurück ins Bett. Werde ich ausgedrückte Kippe geradebiegen und rauchen? Nein. Noch mehr Husten. Dann Seufzen. Ein Nieser. Schlafen.

Ich erwache am kalten Morgen und fühle mich verstört. Ich sehe den Kleiderschrank an, wende dann den Blick ab. Aufstehen, waschen, anziehen. Im Verlassen des Schlafzimmers beiläufig Stuhl vor Kleiderschrank rücken, draufstei-gen, Blick werfen. Keine Geige. Nur ein staubüberkrusteter Kleiderbügel.

Treppab. Verstohlener Blick auf Küchentisch. Ja. Spuren von Zucker. Feiner Kakaostaub. Krümel.

Und was ist dies? Wieder das entsetzliche Hämmern im Kopf.

Kalter Blick auf »Frühstück«. Wird nicht angerührt. Mantel an, Hut auf. Hinaus. Büro? Nein. Zum Phoenix Park, den ganzen Tag im langen, nassen Gras liegen.  - (myl)

 

Erwachen

 

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