rtragen   Die Narren ertragen können. Stets sind die Weisen ungeduldig: denn wer sein Wissen vermehrt, vermehrt seine Ungeduld. Große Einsicht ist schwer zu befriedigen. Die erste Lebensregel, nach Epiktet, ist das Ertragenkönnen, worauf er die Hälfte der Weisheit zurückführt. Müssen nun alle Arten von Narrheit ertragen werden, so wird es großer Geduld bedürfen. Oft haben wir am meisten von denen zu erdulden, von welchen wir am meisten abhängen: eine dienliche Uebung der Selbstüberwindung. Aus der Geduld geht der unschätzbare Frieden hervor, welcher das Glück der Welt ist. Wer aber zum Dulden kein Gemüth hat, ziehe sich zurück in sich selbst, wenn er anders auch nur sich selbst wird ertragen können. - Balthasar Gracian, Hand-Orakel

Ertragen (2) Warum, sagte er, warum sollte man das Leben nicht ertragen, da doch ein Nichts schon genügt, es einem zu nehmen? Ein Nichts bringt es, ein Nichts beschwingt es, ein Nichts bezwingt es, ein Nichts vollbringt es. Wenn das nicht wäre, wer konnte da die Schicksalsschläge ertragen und die Demütigungen einer glanzvollen Karriere, die Betrügereien der Lebensmittelhandler, die Preise der Fleischer, das Wasser der Milchhändler, die Aufregung der Eltern, die Wut der Lehrer, das Gebrüll der Feldwebel, die Schändlichkeiten der Besitzenden, die Wehklagen der Vernichteten, das Schweigen der unendlichen Räume, den Geruch des Blumenkohls oder die Passivität der Holzpferdchen, wenn man eben nicht wußte, daß der schlechte und höchst fruchtbare Lebenswandel einiger winziger Zellen (Gebärde) oder die Bahn einer Kugel, die ihr vorgeschrieben wird von einem unfreiwillig verantwortungslosen Anonymus, alle diese Sorgen unversehens im Blau des Himmels verdampfen läßt. - Raymond Queneau, Zazie in der Metro. Frankfurt am Main 1999 (zuerst 1959)

Ertragen (3)  »Warum Gemeinheiten ertragen werden, ist mir immer noch nicht klar. Vielleicht aus Klugheit und Menschenverachtung, das ist möglich. Du beispielsweise«, hatte er sich Eugen zugewendet, »hast dich wahrscheinlich in dieser Richtung trainiert, wenn ich so sagen darf. Vielleicht ist's sogar gut gewesen, daß niemand an dich geglaubt hat. Und du hast für dich gegrinst, wenn du gespürt hast: sie verachten dich.« Worauf Eugen geantwortet hatte, dann brauche er sich jedenfalls bei niemanden zu bedanken.  - Hermann Lenz, Herbstlicht. Frankfurt am Main 2000

Ertragen (4)  Nazarov traf ich zum ersten Mal in Moskau, im Restaurant »Volna« im Karetnyjrjad. Er trank Bier, hörte auf die Maschine und antwortete mir ruhig, fast träge auf meine Fragen: »Meiner Ansicht nach muß man sie alle mit der Bombe... Es gibt kein Recht auf Erden... Sie sehen doch, während des Aufstands, wieviel Leute aus dem Volk haben sie da umgebracht. Die Kinder irren in der Welt herum... Kann man denn das noch aushalten? Dann halts eben aus, wenn du willst, ich kann es nicht.«  - Boris Savinkov, Erinnerungen eines Terroristen. Nördlingen 1985 (Die Andere Bibliothek, zuerst 1917/18)

 

Festigkeit Geduld Empfindlichkeit

 

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Erträglichkeit
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