Erkalten   »Die Hitze«, sagte Thubalkain, »ist die natürliche Temperatur der aus dem Element des Feuers hervorgegangenen Seelen. Adonai legte einen nicht wahrnehmbaren Funken in die Mitte des Erdklumpens, aus dem er den Menschen formte, und dieses Teilchen genügte, den Klumpen zu erwärmen, ihn mit Leben zu durchpulsen und zu einem denkenden Wesen zu machen. Doch dort oben muß die Seele gegen die Kälte ankämpfen: daher die eng gesteckten Grenzen eurer Fähigkeiten, daher kommt einmal der Tag, da der Funke durch die Anziehungskraft des Erdinnern fortgerissen wird, und ihr sterbt.«

Eine solche Erklärung der Schöpfung löste eine verächtliche Regung in Adoniram aus.

»Doch«, fuhr sein Führer fort,  »dieser Adonai ist ein Gott, der weniger stark als schlau, weniger großherzig als eifersüchtig ist! Er hat den Menschen aus Dreck erschaffen, gegen den Willen der Feuergeister; erschrocken über sein Werk und ihr Wohlwollen für diese jämmerliche Kreatur, hat er ihn dann, ungerührt von ihren Tränen, zur Sterblichkeit verurteilt. Das ist der Grund des Streites, der uns entzweit; alles aus dem Feuer hervorgegangene irdische Leben wird von dem im Erdmittelpunkt lodernden Feuer angezogen. Wir wollten, daß als Gegengewicht das zentrale Feuer von der Erdkruste angezogen würde und nach außen strahle: Dieser Austausch der Prinzipien hätte das ewige Leben bedeutet.

Adonai, der rund um die Welt herrscht, hat die Erde ummauert und diese Anziehung nach außen hin unterbunden. Die Folge ist, daß die Erde ebenso sterben wird wie ihre Bewohner. Sie altert schon; die Kälte breitet sich immer weiter aus; ganze Tier- und Pflanzenarten sind bereits verschwunden; die Rassen verringern sich, die Lebensdauer wird kürzer, und von den sieben ursprünglich vorhandenen Metallen erhält die Erde, deren Mark einfriert und vertrocknet, schon jetzt nur noch fünf. Selbst die Sonne verblaßt, in fünf- oder sechstausend Jahren wird sie verlöschen.«    - Gérard de Nerval, Reise in den Orient. München 1986 (zuerst 1851)

 

Kälte

 

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