Erkältung   Ja dieser Vormittag auf dem Friedhof war grauenhaft, wir haben uns alle eine tüchtige Erkältung geholt, es war in der Kirche losgegangen, der Sarg war noch nicht da aber dafür der Durchzug, wir hatten uns alle in der Nähe des Taufbeckens versammelt, ich sehe noch Monnard vor mir mit seinem Schal ... oder Mottard der der Verstorbenen beigestanden hatte, letzte Schnaufer, und sein Fräulein Tochter hinke pinke, ihre arme Nase ganz verfroren, die Hände in einem Muff vergraben den sie von ihrer Mutter hatte aus weichem Filz oder war es Kaninchen an einer Schnur um den Hals, und alle Gemeinderatsmitglieder plus Leventail und unserem Straßenwärter, man bemühte sich um würdige Reden, man rief den Lebensweg der Toten wieder ins Gedächtnis, zwanzig Jahre Schuldienst wie die Zeit vergeht, und so ganz von ungefähr da jeder was dazugab tauchte die ganze Sippschaft der Toten auf, wie die sich stupsten und stießen das mußte man gesehen haben, die Väter, die Mütter, die Ehemänner, das ganze Drum und Dran, eine ganze Invasion die taten als ob sie ihr eigenes Begräbnis noch mal feierten oder ob das von diesem Tag nur eine schlechte Wiederholung sei, eine läppische Litanei, die weil sie vor zwanzig Jahren leise angefangen hatte nicht mehr das Maul halten konnte, man wird uns noch bis ans Ende der Tage bei den Totengebeten die Ventilklappen drücken sehen.

An Begräbnissen fehlt es hier ja nicht sagte der Straßenwärter.

O nein an Begräbnissen nicht.

Ich sehe noch das besagte vor mir, wir hatten uns alle eine tüchtige Erkältung geholt, der arme Moignon, nicht der Spengler der andere, er wird auch bald drankommen, als ob er die Feier im stillen probte zusammen mit seinem Neffen dem langen Lulatsch Sie wissen schon, der Küster legte die Kondolenzliste hin und machte uns ein Zeichen näher zu kommen, bitte unterschreiben Sie, keine Hemmungen, unter den Augen des heiligen Antonius, ein bißchen wie auf dem Fundbüro, aber die Familie hatte kein Glück, der Sarg kam immer noch nicht, plötzlich mußte der kleine Jean-Claude niesen, er hatte kein Taschentuch, eine schöne Bahn auf seinem Mantel, Fräulein Cruze hat ihn darauf aufmerksam gemacht, das Kind hat mit den Fingern geschnippt und das Zeug hat sich an Magnins Schirm festgeklebt worüber wir lachen mußten, als plötzlich Blimbraz auf Verveines Rat hin der von draußen kam die Türen öffnete, endlich war es soweit, alles nahm wieder eine ergriffene Miene an aber nur ein Luftzug kam herein, jemand sagte es ist noch zu früh, sie sind an der Kreuzung steckengeblieben, die Türen wurden wieder geschlossen und das Harmonium das zu quietschen angefangen hatte verstummte augenblicklich, es sollte noch eine gute halbe Stunde dauern, Magnin sagte daß sie bei der Messe für seine Schwiegermutter zwei Stunden Verspätung gehabt hätten und idi mußte an all die Verspätungen bei Begräbnissen denken, so viel gewonnene Zeit für unsere frommen Betrachtungen, aber wir kümmerten uns kaum darum, das Vergnügen seine Nase hineinzustecken und das noch größere sie wieder herausziehen zu können, und tatsächlich sprachen wir alle von etwas anderem außer vielleicht Fräulein Lorduze dieser alten Schlampe, erinnern Sie sich noch, als die Türen, diesmal vom ersten Leichenträger geöffnet, den Weg freigaben für ...

Jedoch hätte es sich beinahe um etwas anderes gehandelt, eine Art Dingsbums wie nennt man das wo das Ereignis weit über das was man sieht hinausgeht, als ob wir selbst als potentielle Leichen im stillen die läppische Litanei brabbelten die man uns ins Gesicht schleudern wird um uns noch einen Schubs zu geben und die heiligen Worte Requiem und Libera me Domine ... kurzum eine für diesen Zweck zusammengestoppelte Komödie, denkt nach ihr Tröpfe ihr seid nur Staub, alles was sich an Banalitäten sagen läßt.

Wir hatten uns um elf hinten in der Kirche aufgestellt, ich sehe noch den armen Mortin umgeben von seinen Pensionsgästen, drei oder vier der Damen, sollten wir vor ins Hauptschiff gehen, es zog mörderisch, auf die Familie warten wo steckte die bloß mein Gott aber erwarten Sie mal Lebensart an so einem Tag entschuldigen Sie den schlechten Witz.   - Robert Pinget, Befreie uns. Berlin 1998 (zuerst 1968)

 

Krankheit, physische

 

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