- Ernst Jünger,
Myrdun. Briefe aus Norwegen (31. Juli 1935). München 1980 (dtv bibliothek
kubin, zuerst 1943)
Eremit (2) Pfarrer Fleischmann erzählt vom Heiligen
Makarius, der sich als Einsiedler in die Wüste zurückzog. Eines Tages überkommt
ihn der Wunsch, nach Rom zu gehen, um dort die Siechen in den Spitälern zu pflegen.
Pfarrer Fleischmann macht eine Pause. Ich schaue ihn an. Und, was hältst du
von dieser Idee? Ich habe ein schlechtes Gewissen, da mir nie ähnliche Ideen
kommen. Ich denke nur an mich. Ich möchte raus aus dem Sanatorium und nicht
mehr in die Schule und auch nicht mehr nach Hause. Ich denke für einen Moment,
dass ich vielleicht auch in eine andere Stadt gehen könnte, um dort die Siechen
zu pflegen, aber dafür bin ich zu jung und unerfahren. Außerdem besteht Schulpflicht.
Diese Idee war ein Zeichen seiner Heiligkeit,
sage ich. Pfarrer Fleischmann schüttelt den Kopf. Nein, ganz im Gegenteil, das
war eine Schlinge der Eigenliebe und des Hochmuts,
eine Idee, die ihm der Satan eingegeben hatte. Zeichen seiner Heiligkeit war
es, dass er diese List durchschaute. Er fesselte sich selbst an den Türbalken
und beschwerte sich obendrein mit zwei Säcken voller Steine. Hol mich doch,
wenn du kannst!, schrie er dem Satan entgegen. Und in dieser Haltung blieb er
drei Nächte und drei Tage. Die ägyptischen Fliegen, die so groß sind wie unsere
Bienen, plagten ihn mit ihren Stichen, die gefährlicher sind als die unserer
Bienen. Übersät war er schließlich von Blut und Beulen. Und als ein anderer
Eremit ihn fragte, warum er sich so peinige, da antwortete er: Ich quäle den,
der mich quält. Ich war erschrocken, dass ich mich so hatte irren können. Ohne
zu zögern hätte ich die Eingebungen des Satans für einen Akt der Heiligkeit
gehalten. Wenn es aber nicht unbedingt gut war, andere Menschen zu pflegen,
war es dann vielleicht umgekehrt auch nicht unbedingt schlecht, andere Menschen
zu töten? - (raf)
Eremit (3) An vielen Orten werden große Loecher
in dem Gebuerge von Subrom gefunden, die einen
großen und unergruendlichen Kammercomplex ausmachen. In dem, welches Augenkammer
genennet, wohnet bei Kammerflimmern und Kertzenschein angetan in einem langen
Gewande voller schwarzer Loecher ein frommer Kavernom schier unerforschlichen
Althers. Dieser ist ein Eremit & Luciferath, dessen Sprache niemand verstehet,
und welcher Morpionen zuechtet, und sich seine Nahrung verdienet mit Tuerkensaetteln.
Er lebet nach dem Wahlspruch "Pedo, ergo sum!", treibet Nabelschau
& Nabelflechten und meditiret comme a l'ordinaire uiber die sublimsten
Ideen und Zwangsvorstellungen.
Man heißet ihn auch den Unschattigen, so er
keinen Schatten werfe, wenn er in der Sonne stehe, doch scheuet er gemeiniglich
den Genuß derselben. Auch spielet er gar wundersame Musik auf der Variola und
auf der Wasserglasharfe, die uiberdieß die Ohren sehr belustiget, und welcher
sich auch verstehet auf allerley Spindelgift & Zauberwerck, und soll uiberhaupt
mit vielen fremden Kenntnissen begabet sein.
Man hoeret auch, er mache in
seinen Weinkellern viele in vitro Versuch und es herrsche dort ein so schwunghafter
Umsatz, daß man wuerde mit den leeren Bouteillen einen ertraeglichen Handel
treiben koennen. - (insul)
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