rbarmen   SCHWEIZER. Weißt du nicht, Schufterle, wieviel es Tote gesetzt hat?
SCHUFTERLE. Dreiundachtzig sagt man. Der Turm allein hat ihrer sechszig zu Staub zerschmettert.
RÄUBER MOOR. (sehr ernst) Roller, du bist teuer bezahlt.
SCHUFTERLE. Pah, pah! was heißt aber das? — ja, wenns Männer gewesen wären — aber da warens Wickelkinder, die ihre Laken vergolden, eingeschnurrte Mütterchen, die ihnen die Mücken wehrten, ausgedörrte Ofenhocker, die keine Türe mehr finden konnten — Patienten, die nach dem Dokter winselten, der in seinem gravitätischen Trab der Hatz nachgezogen war — Was leichte Beine hatte, war ausgeflogen der Komödie nach, und nur der Bodensatz der Stadt blieb zurück, die Häuser zu hüten.
MOOR. O der armen Gewürme! Kranke, sagst du, Greise und Kinder?-
SCHUFTERLE. Ja zum Teufel! und Kindbetterinnen darzu, und hochschwangere Weiber, die befürchteten, unterm lichten Galgen zu abortieren, junge Frauen, die besorgten, sich an den Schindersstückchen zu versehen und ihrem Kind in Mutterleib den Galgen auf den Buckel zu brennen — Arme Poeten, die keinen Schuh anzuziehen hatten, weil sie ihr einziges Paar in die Mache gegeben, und was das Hundsgesindel mehr ist, es lohnt sich der Mühe nicht, daß man davon redt. Wie ich von ungefähr so an einer Baracke vorbeigehe, hör ich drinnen ein Gezeter, ich guck hinein, und wie ichs beim Licht besehe, was wars? Ein Kind wars, noch frisch und gesund, das lag auf dem Boden unterm Tisch, und der Tisch wollte eben angehen, — Armes Tierchen, sagt ich, du verfrierst ja hier, und warfs in die Flamme. - Friedrich Schiller, Die Räuber (1781)

Erbarmen (2)

O feig Gewissen, wie du mich bedrängst! -
Das Licht brennt blau. Ists nicht um Mitternacht?
Mein schauerndes Gebein deckt kalter Schweiß.
Was fürcht ich denn? Mich selbst? Sonst ist hier niemand.
Richard liebt Richard; das heißt: Ich bin Ich.
Ist hier ein Mörder? Nein. - Ja, ich bin hier.
So flieh. - Wie? Vor mir selbst? Mit gutem Grund:
Ich möchte rächen. Wie? Mich an mir selbst?
Ich liebe ja mich selbst. Wofür? Für Gutes,
Das je ich selbst hätt an mir selbst getan?
O leider nein! Vielmehr haß ich mich selbst,
Verhaßter Taten halb, durch mich verübt.
Ich bin ein Schurke - doch ich lüg, ich bins nicht!
Tor, rede gut von dir! - Tor, schmeichle nicht!
Hat mein Gewissen doch viel tausend Zungen,
Und jede Zunge bringt verschiednes Zeugnis,
Und jedes Zeugnis straft mich einen Schurken.
Meineid, Meineid, im allerhöchsten Grad,
Mord, grauser Mord, im fürchterlichsten Grad,
Jedwede Sünd, in jedem Grad geübt,
Stürmt an die Schranken, rufend: Schuldig! Schuldig!
Ich muß verzweifeln. - Kein Geschöpfe liebt mich,
Und sterb ich, wird sich keine Seel erbarmen!
Ja, warum solltens andre? Find ich selbst
In mir doch kein Erbarmen mit mir selbst!

- Shakespeare, König Richard III.

Erbarmen (3)  Ein neunzehnjähriger Tischler kommt aus dem Innern des Landes, um in der Grossstadt Bahia sein Glück zu machen. Er findet wochenlang keine Arbeit.

- Ich habe alles kennengelernt. Sogar den Hunger.

Jetzt ist er in einer Möbeltischlerei für weniger als hundert Mark im Monat, angestellt. Er arbeitet 52 Stunden in der Woche, unbezahlte Überstunden nicht gerechnet.

Er wohnt mit zwei Kameraden in einem Verschlag aus Pappwänden. Morgens bekommt er dort Kaffee und zwei Eier. Mittags isst er ein Brot. Abends Bohnen und Reis. Jeden Abend Bohnen und Reis. Dafür bezahlt er 25 Cruzeiros in der Woche. 24 Cruzeiros, 16 Mark, bleiben ihm im Monat für Liebe, Bildung, Zerstreuung, Kleidung, Zigaretten.

So oft er kann, erbarmt er sich älterer Herren, die sich seiner erbarmen.  - (xan)

Gefühle, moralische
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