ntspannung
Die gesamte Corrida, genau wie jedes Opferritual,
strebt auf ihren Paroxysmus zu: die feierliche Exekution, nach deren Vollstreckung
die Entspannung einsetzt, wie es in der Liebe nach der
Besitzergreifung des begehrten Objektes geschieht oder in der Tragödie nach
dem Tod des Helden. Bei dem kultischen Opfer wird dieser
Paroxysmus, oder Höchstmaß an Spannung, im Augenblick der eigentlichen Opferung
erreicht (glühender Berührungspunkt der Gottheit mit
dem Opferblut), auf die dann das »Entspannungsritual«
folgt: Entsakralisierung, Verabschiedung des Gottes, der jetzt, da er seinen
Teil bekommen hat, nicht mehr als Unheil droht und dorthin zurückkehren kann,
woher er gekommen war. Die Gefahr, als die er sich hätte manifestieren können,
ist nun in Wohlwollen übergegangen bis zu dem Zeitpunkt, in dem er ein neues
Entgelt fordern wird. - Michel Leiris, Spiegel der
Tauro
machie,
eingeleitet durch Tauromachien. Mit Zeichnungen von André Masson. München 1982
(zuerst 1980)
Entspannung (2) Zu Anfang seiner
Regierung zog sich Domitian täglich für eine Stunde in sein Privatgemach
zurück. Dabei tat er nichts anderes, als daß er Fliegen
fing und mit seinem nadelspitzen Griffel aufspießte. Als jemand seinen Vertrauten
Vibius Crispus fragte, ob jemand beim Kaiser sei, entgegnete
der: »Nicht einmal eine Fliege «. - (
gsv
)
Entspannung (3) Während ich beim morgendlichen Tee in meinem Pariser Zimmer eine Zigarette rauche, kommt mir manchmal die unsinnige, aber deutlich empfundene Lust, eine Zigarette zu rauchen. Nun bin ich aber gerade dabei, zu rauchen, und es ist also absurd zu wünschen, das zu tun, was ich ohnehin schon tue. Was ich wirklich wünsche, ist zweifellos die Entspannung, die der Vorgang des Rauchens vermittelt (dasitzen, der rechte Ellbogen ruht in meinem linken Handteller, die Rothmans zwischen Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand halten, sie an meinen Mund führen, um den Rauch tief einzuatmen, meine Lippen von dem Rorkende lösen, dann den Rauch - am liebsten durch die Nase - ausatmen, von Zeit zu Zeit den Daumen an die Stelle des Zeigefingers setzen, um diesen frei zu machen, damit er durch zwei leichte Klopfer auf den Zylinder mit der glutroten Spitze die Asche in den sehr nostalgischen, um 1900 zu datierenden Aschenbecher fallen läßt, dessen Umrandung mit einem als Hautrelief gearbeiteten jugendlichen Frauenkopf verziert ist, der nach außen schaut und mit den Augen gen Himmel aus dem zwiefachen Strom des endlosen Haars hervorzutauchen scheint, der den massiven, kaum eingewölbten Metallkelch umfließt). Aber die Entspannung, die ich mir erhoffte, als ich mit der Flamme meines Feuerzeugs die Zigarette anzündete, ist nicht eingetreten, und da ich weiter in demselben Zustand bleibe, dem ich durch das Rauchen ein Ende setzen wollte, hege ich noch immer das gleiche Verlangen, das aus derselben Empfindung des Mangels herrührt, und dieses Verlangen hat zum Gegenstand - vielleicht handelt es sich um eine Konditionierung, die einen Automatismus auslöst? - eben jene Tätigkeit, mit der ich gerade beschäftigt bin und die, weil sie sich als wirkungslos erweist, mein Verlangen ungebrochen fortbestehen läßt - mein Verlangen nach Entspannung, das mich vernünftigerweise jetzt zu etwas anderem greifen lassen sollte als zu jenem Hilfsmittel, das ich gerade erfolglos in Anspruch nehme.
Einen Augenblick lang bin ich so völlig von diesem Verlangen erfüllt, daß
es mir nicht in den Sinn kommt, daß, wenn ich rauche und dabei ans Rauchen denke,
als sei ich nicht gerade dabei, es zu tun, mein Verlangen das zum Gegenstand
hat, wonach ich kein Verlangen mehr zu hegen brauche, da ich es gegenwärtig
verwirkliche, und dieses Verlangen im übrigen noch aus einem anderen Grund absurd
ist, zeigt sein Weiterbestehen doch die Unzweckmäßigkeit dieses Tuns, das ihm
trotz des vagen Genusses, das es verschaffen kann, nicht Genüge zu tun vermag.
Wenn ich fast unmittelbar entdecke, daß das, wozu ich Lust verspüre, genau dasjenige
ist, was ich gerade tue, daß aber mein Verlangen, das derart in der minderen
Form, die es angenommen hat, gestillt ist, noch unbefriedigt bleibt, bin ich
sicherlich beschämt wie über ein Zeichen von Verkalkung, vor allem aber empfinde
ich einen leichten Schwindel bei dem Gefühl, daß, selbst wenn ich zu meiner
Entschuldigung anführen kann, ich sei noch nicht richtig wach, ein Riß darin
zu Tage tritt: derjenige, der in der Tiefe weiterbestehen bleiben wird, selbst
wenn an der Oberfläche unser Verlangen durch etwas gestillt worden ist. -
(
leiris2
)
Entspannung (4) «Wenn ich ein Nickerchen machte?»
dachte er, «und dann, mit ausgeruhtem Kopf. . .» Doch er besann sich eines Besseren.
Dazu muß man wissen, daß der Schriftsteller, schon etwas ältlich und nicht mehr
gar so rüstig, sich als Entspannung die zum Laster gewordene Angewohnheit zugelegt
hatte, gewisse Obszönitäten zu zeichnen, die er dann ein um das andere Mal vernichtete.
So machte er sich nun an dieses Werk und fand darin für eine Weile seine Befriedigung.
Doch hätte er gern mehr Deutlichkeit bei den Frauenkörpern
(denn auf sie kam es ja an) herausgeholt, hätte gern gehabt, daß sie mit wohlgeformten
Rundungen, wiedergegebenen Schattierungen und jedem einzelnen Härchen die Sinne
unmittelbar und ohne Zuhilfenahme der Einbildungskraft ansprachen; doch um dies
zu erreichen, verstand er zuwenig vom Zeichnen. So
daß er binnen kurzer Zeit alles zerriß und ein wenig (denn er war ja weise),
doch nicht sonderlich übelgelaunt sich mit einem Buch in der Hand auf einem
Sessel niederließ, wo er alsbald entschlummerte. - Tommaso Landolfi, Der
Vormittag des Schriftstellers, nach (
land
)
Entspannung (5) Ich
hörte das Wort »Zündung« und spürte, fühlte und hörte die ganze ungeheure Kraft,
die unter der mich langsam von der Erde emporhebenden Rakete freigesetzt wurde.
Es war ein Augenblick äußersten Wohlbefindens und völliger Entspannung. An jenem
Morgen liefen mir die Tränen übers Gesicht. - James Irwin, nach: Der Heimatplanet, ed. Kevin W. Kelley,
Frankfurt am Main 1989, 2001 (zuerst 1988)
Entspannung (6) Plötzlich ergriff eine unaussprechliche Ruhe von meinem ganzen Dasein Besitz, ein wollüstiger Dämmerzustand breitete sich in den Gliedern aus, eine sanfte Ruhe schwebte über Leib und Seele, die in so vielen arbeitsreichen Jahren ohne gesunde Entspannung hatten auskommen müssen.
Ohne Zweifel war das der Tod! Nach und nach verflüchtigte sich der Lebenswille, ich hatte aufgehört zu empfinden, zu fühlen, zu denken. Das Bewußtsein erlosch, und allein das Gefühl des wohltuenden Nichts erfüllte die Leere, die dadurch entstanden war, daß namenlose Schmerzen, beunruhigende Gedanken, nie eingestandene Ängste verschwanden. Als ich aufwachte, sah ich meine Frau auf dem Kopfkissen sitzen und mich mit besorgter Miene beobachten. »Wie geht es dir, mein armer Freund?« fragte sie. »Ich bin krank!« erwiderte ich. »Aber wie schön ist es, krank zu sein!«
»Was du nicht sagst! Dann muß es aber ernst sein!« »Es ist das Ende, das
naht. Ich hoffe es jedenfalls.« »Gott behüte, daß du uns völlig mittellos zurückläßt!«
- (plaed)
Entspannung (7)
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