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krypto
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Entschlüsseln (2) Godofrey stürzte sich auf das Blatt, schob die Hornbrille in die Stirn, und da kamen zum Vorschein ein Paar wässrige, blinzelnde Äuglein. Ihnen näherte er das Blatt etwa auf Handbreite, drehte es hin und her und hielt es endlich so, daß die Achse der Fieberkurve senkrecht stand. Ausrufe platzten über seine Lippen:
»Kindisch... Kindisch einfach! ... Stümperarbeit! ... Freimaurerschrift... Das kann man vom Blatt lesen ...«
Er flatterte zum Tisch, setzte sich und begann:
»EMOQHZ
»Genug, Godofrey, genug!« rief Studer, der ängstlich wurde. Man konnte sicherlich Vertrauen zu dem Zwerge haben, aber immerhin ... er war Franzose...
Godofrey jedoch ließ sich nicht stören, sondern diktierte sich die Buchstabenreihe laut in die Feder. Dann machte er eine Pause.
»Umgekehrtes Alphabet«, sagte er langsam. »Wahrscheinlich Deutsch. Ich will nicht in Ihre kleinen Geheimnisse eindringen. Aber haben Sie es selbst entziffern können?«
»Nein«, sagte Studer und wurde verlegen. »Meine Frau hat die Lösung gefunden.«
»Ah, Madame Stüdère... Wundert mich nicht. Ein Mann wie Sie, Inspektor, hat überall Glück. Unverdientes Glück. Ein Mann wie Sie muß unbedingt auch eine kluge, eine gescheite Frau haben. Das geht klar hervor aus Ihrem ganzen Aussehen. Madame Stüdère...«, wiederholte Godofrey. »Wird es mir einmal vergönnt sein, ihr meine Bewunderung zu Füßen zu legen?«
»Ich glaube«, sagte Studer trocken, »daß meine Frau eine Gansleberpastete
mehr schätzt als Bewunderung.« - Friedrich Glauser, Die
Fieberkurve. Zürich 1989 (zuerst 1937)
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