- Virginia Woolf, nach (
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Enthemmung (2) Tiberius' Leben
war schon seit seiner frühesten Kindheit wechselvoll. Er folgte seinem geächteten
Vater in die Verbannung. Als er in das Haus des Augustus als Stiefsohn eintrat,
hatte er gegen seine vielen Nebenbuhler einen schweren Stand, erst gegen Marcellus
und Agrippa, dann gegen des letzteren Söhne Gaius und Lucius Caesar. Auch sein
Bruder Drusus war beim Volke beliebter als er. Am gefährlichsten war aber seine
Stellung, als er sich mit Julia verheiratet hatte, ihre Unkeuschheit zuerst
ertrug und dann doch ablehnte. Nach seiner Rückkehr aus Rhodos lebte er zwölf
Jahre als einziger Sohn in dem verödeten Hause des Prinzeps und war dann fast
23 Jahre lang Herrscher des römischen Reiches. Auch sein Charakter
zeigte im Laufe seines Lebens Veränderungen. Solange er Privatmann oder Heerführer
unter Augustus war, war sein Wandel und Ruf vorzüglich. Solange noch Germanicus
und Drusus am Leben waren, versuchte er, seine Laster geheimzuhalten und Tugendhaftigkeit
zu heucheln. Auch bis zum Tode seiner Mutter kreuzten sich noch gute und schlechte
Eigenschaften in ihm. Solange er dann Seianus liebte oder fürchtete, verbarg
er immerhin noch seine unnatürlichen Lüste, wenn seine Grausamkeit ihm auch
den allgemeinen Abscheu zuzog. Als er nach dem Schwinden jeder Scham und Furcht
ganz seiner eigenen Art leben konnte, da trat seine Verruchtheit und Lasterhaftigkeit
offen zu Tage. - (
tac
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Enthemmung (3)
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