Eisenbahngeräusche  In einem jener einsamen Jahre, als der Nebel sich niemals auflöste und das Klagelied des Windes nie verstummte, begegnete ich auf einer nächtlichen Fahrt mit dem alten roten, im Eiltempo dahinpolternden Donnerding dem Freund des Todes, und ich erkannte ihn nicht.

Es war eine regnerische Nacht, und ich saß mit einem Buch in dem alten, jaulenden, brüllenden Gefährt, das von einem leeren, konfettiübersäten Umsteigebahnhof zum nächsten raste. Ich war allein mit dem großen, vor Schmerz winselnden hölzernen Wagen und dem Fahrer, der vorne an seinen Messinghebeln riß, die Bremsen löste, wann immer nötig Höllendampf ausströmen ließ.

Und mit dem Mann weiter hinten im Wagen, der irgendwie dahingekommen war, ohne daß ich es bemerkt hatte.

Schließlich nahm ich ihn wahr, als er eine ganze Weile hinter mir hin- und herschwankte, unentschlossen, welchen der vierzig freien Sitzplätze er nehmen sollte, denn es ist schwer, sich spät nachts angesichts von so viel Leere für einen bestimmten zu entscheiden. Doch dann hörte ich, wie er sich setzte, und ich wußte, daß er da war, weil ich ihn riechen konnte wie das Meer, dessen Geruch über die Felder herwehte. Über dem Geruch seiner Kleider lagen Schwaden von zu großen zu schnell getrunkenen Mengen Alkohols.

Ich wandte mich nicht zu ihm um. Längst hatte ich die Erfahrung gemacht, daß in solchen Fällen Blicke nur Mut machen.

Ich schloß die Augen und hielt den Kopf unverwandt nach vorne gerichtet. Es half nicht. »Oh«, stöhnte der Mann.

Ich spürte, wie es ihn auf seinem Platz nach vorne zog, und fühlte seinen heißen Atem in meinem Nacken. Ich umklammerte meine Knie und sank in mich zusammen.

»Oh«, stöhnte er, lauter als vorher. Als falle er von einer Klippe und rufe um Hilfe, oder als schwimme er weit draußen im stürmischen Meer und wolle gesehen werden. »Ah!«

Es regnete heftig, als der große rote Zug jetzt über eine mitternächtliche Wiese dahinratterte, der Regen klatschte gegen die Scheiben und schwemmte den Anblick der weiten Felder weg. Wir durchquerten Culver City, ohne etwas von den Filmstudios zu sehen, und fuhren weiter; der große Wagen hob und senkte sich, die Bodenbretter quietschten unter uns, die leeren Sitze knarrten, und die Signalpfeife schrillte.

Dann traf mich von hinten ein fürchterlicher Luftschwall, als der Unbekannte in meinem Rücken ausrief: »Der Tod

Die Signalpfeife schnitt ihm das Wort ab, so daß er noch einmal ansetzen mußte.

»Der Tod -«

Wieder ein schrilles Pfeifen.

»Der Tod«, stöhnte die Stimme hinter mir, »ist ... ein einsames Geschäft!«

Mir schien es, als ob er weinte. Ich starrte nach vorn in den blitzenden Regen, der uns entgegenpeitschte. Der Zug bremste ab. Der Mann erhob sich todernst und ungestüm, als wollte er auf mich einschlagen, wenn ich mich nicht endlich umdrehte und ihm zuhörte. Er wollte gesehen werden. Er wollte mich in seiner Not ertränken. Ich fühlte, daß er die Hand ausstreckte, wußte aber nicht, ob er mit der geballten Faust auf mich einschlagen oder mir das Gesicht zerkratzen wollte. Ich umklammerte die Rücklehne vor mir. Seine Stimme brach aus ihm hervor.

»Oh, der Tod!«

Der Zug hielt an.

Na, komm schon, dachte ich, spuck's aus!

»Ist ein einsames Geschäft!« flüsterte er, in einem schrecklichen Ton, und stand auf.

Ich hörte, wie hinten die Tür aufging. Jetzt endlich wandte ich mich um.  Der Wagen war leer.  - Ray Bradbury, Der Tod ist ein einsames Geschäft. Zürich 1989

 

Eisenbahn Verkehrsgeräusch

 

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