inlauf
Eisenbeißer war auch Apotheker. Er nannte sich Arzt ohne Federlesen, Anhänger
faschistischer Methoden. So hängte er seine Patienten, damit sie seine voluminösen
Einläufe nicht allzu schnell von sich gaben, sofort nach dem Klistier mit den
Füßen an der Decke auf.
- (
eisen
)
Einlauf (2)
Einlauf
(3)
Vielleicht die aufregendsten Erfahrungen, die die Kurgäste erwarten,
ebenso bittersüß wie durchschlagend, sind die Einläufe - ein Euphemismus, hinter
dem sich die alte Praxis des Klistiers verbirgt - und das morgendliche Wiegen,
direkt nach dem Aufstehen, die Damen im Schlüpfer, die Herren im Slip. Der Einlauf
versetzt sie zurück in die Zeiten der alten Kindheitsschrecken und der Entdeckung
des Schmerzes: Injektionen, Impfungen, Umschläge, Senfpflaster, Klistiere. Der
Einlauftag hat etwas von einem kindlichen und moralischen Ritus, Frühmorgens
von den Schwestern angekündigt, die mit spitzem Kugelschreiber auf die fatale
Indikation tippen und dabei den Patienten ansehen, als nehme sein Gesicht schon
die Form eines Hinterns an. ›Heute sind Sie mit einem Einlauf dran.‹ Und da
wartet er auch schon, im Klosett, der Behälter für das Wasser, das die verschmutzten
Eingeweide reinigt, und das Rohr, das sich erbarmungslos seinen Weg bahnen wird
durch die enge Pforte, die, obwohl von der Natur ausschließlich als Ausgang
vorgesehen, von der Medizin und der Sexualität als Schwingtür benutzt wird.
Die Krankenschwester kommt mit singender Stimme herein, um von den Schrecknissen
abzulenken, sie hantiert im Klosett, während der Patient seinen Hintern ausliefert
an das Fremde, den Schließmuskel genauso verkrampft wie die Phantasie, und die
Würde mit dem Gesicht zur Wand. Sein Schicksal ist besiegelt, wenn die Frau
sich bedrohlich der Liege nähert, und er sie aus der Perspektive eines Insektes
betrachtet, das aufgespießt werden soll. Da ist es soweit. Eine vergessene Rauheit
dringt ein ins Labyrinth der endgültigen Verwesung und beginnt, sich ins Körperinnere
zu ergießen, vorgebend, ihn von ausgedienten Bestandteilen zu befreien. Die
Zeit wiegt schwer wie eine Plastiktüte voll schmutzigen Wassers, und das Gehirn
ringt mit dem Schließmuskel, um zu verhindern, daß er sich öffnet und eine Schamlosigkeit
zeigt, für die es weder die Zeit noch der Ort ist. Sie kennt diese dialektische
Spannung zwischen Gehirn und Arsch genau, die Krankenschwester, und sie kündigt
ihren Rückzug an, um eventuellen Spritzern zu entgehen. Würde es trotzdem dazu
kommen, dann würde sie sie mit einer strikten Professionalität aufnehmen, die
sie aber nicht unnötig verschwenden will. Jetzt ist es soweit. Der Patient schließt
die Augen und gleichzeitig alle Körperöffnungen, als suchte er die Essenz des
Loches in seiner symbolischen Repräsentation als Punkt. Es ist soweit. Die singende
Stimme der Schwester entfernt sich. Zurück auf dem Bett bleibt die Vergewaltigung,
die Eingeweide angefüllt mit seekrankem Wasser auf der Suche nach einem Ausgang,
und im Gehirn bestätigt sich der Verdacht, daß wir ein Nichts sind, wenn drei,
vier oder fünf Minuten später die Fluten den Ausweg finden, und der Patient
zur Klosettschüssel eilen und den Süden seines Körpers
und seiner Seele entleeren muß. -
Manuel Vázquez Montalbán, Wenn Tote baden. München 2003
Einlauf (4)
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