ingebung  Reis zum Beispiel. Sie ist ganz versessen darauf. Eben an jenem Tag hatte der Apotheker schwarzen Reis zubereitet. Als er in die Apotheke zurückgekommen war, hatte er ihr nichts gesagt, es war für sie eine Überraschung gewesen, den schwarzen Reis in der Küche vorzufinden: in Form einer Muschel, schwarz, glänzend auf dem Servierteller mit den Blümchen. Und er duftete nach Zimt, vielleicht ein bißchen stärker als sonst. Sie kann im allgemeinen nicht widerstehen, zu kosten und sich eine Portion zu nehmen. Aber an jenem Tag hatte sie eine Eingebung gehabt: die Katze war ihr nachgelaufen, aus der Apotheke, wo sie gewöhnlich war; sie miaute, ihr Schnurrbart zitterte beim Duft des Zimts; und sie hatte, einfach so, impulsiv, einen Löffel voll schwarzen Reis genommen und ihn für sie auf den Fußboden fallen lassen.

«Warum?», fragte der Inspektor. «Warum auf den Fußboden?»

Seine Frau würde es nie getan haben, sie wurde zornig, wenn die Kinder ein Stückchen Fleisch für die Katze fallen ließen, die unter dem Tisch war. (Dank der Frau, überlegte Rogas, hatte sein Kollege Contrera die einzige sinnvolle Frage des ganzen Verhörs gestellt.) «Aber ich habe es Ihnen gesagt: impulsiv, aus einer Eingebung heraus.»

«Ich glaube nicht an Impulse, die im Gegensatz zu den Gewohnheiten stehen; und noch weniger an die Eingebung», sagte der Inspektor. «Ist nicht irgend etwas gewesen, das Ihren Verdacht erregt hat und Sie in dieser Weise handeln ließ?» «Vielleicht der übermäßige Geruch nach Zimt.» «Aber!», sagte der Inspektor, seinen Zweifel in ein langgezogenes A legend. «Wie dem auch sei, erzählen Sie weiter... Und die Katze?» «Die Katze fraß den schwarzen Reis mit Genuß, leckte den Boden sauber auf, schaute in die Höhe, bettelte um einen zweiten Löffel, maunzte; dann auf einmal wurde sie kürzer, schien sich in sich selber zurückzuziehen, wobei sie Luft ausblies wie eine Drehorgel... Aber an die Drehorgel denke ich erst jetzt, in dem Augenblick kam sie mir wie ein leerer Pelzärmel vor, der von selber die Bewegung machte, sich umzudrehen... Dann schnellte sie los wie eine Sprungfeder, fiel um und lag lang und steif auf dem Boden.» «Und Sie?»

«Ich war wie tot vor Schrecken. Aber ich habe nicht geschrien.» «Warum?»

«Ich weiß nicht, in jenem Moment. Jetzt, wo ich ruhiger bin, kann ich sagen, daß mir vielleicht blitzartig ein Verdacht kam.»

«Der Verdacht, daß Ihr Mann Gift in den, wie heißt er gleich, getan haben könnte?» «In den schwarzen Reis», verbesserte die Frau und antwortete nicht auf die Frage. Sie war jetzt sehr ruhig. Eine schöne Frau zwischen dreißig und vierzig, stellte der Inspektor fest.

«Aber warum dachten Sie an Gift?» «An was konnte ich sonst denken?» «Katzen können genauso sterben wie die Menschen: auf der Straße, mit dem Bissen im Mund, während sie eine Zigarette anzünden...»

«Die Katze, die raucht...», sagte die Frau mit einem halben Lächeln. «Entschuldigen Sie, mir ist das Schild eines Pariser Cafés eingefallen.»

«Das ist ein Hund: der Hund, der raucht», sagte der Inspektor pikiert. «Jedenfalls, auch eine Katze kann plötzlich sterben: sie hört auf, den schwarzen Reis zu fressen, und stirbt. Wieso haben Sie nicht gedacht, daß Ihre Katze zufällig plötzlich gestorben sei?»

«Ich weiß nicht, vielleicht weil ich an der Zuneigung meines Mannes zweifelte.» - Leonardo Sciascia, Tote Richter reden nicht. Zürich 1991 (zuerst 1971)

Eingebung (2) Der Dämon des Sokrates war vielleicht ein gewisser Antrieb des Willens, der sich bei ihm einstellte, ohne den Ratschlag seiner Vernunft abzuwarten. In einer wohlgeläuterten und durch stetige Übung der Tugend und Weisheit gewappneten Seele wie der seinigen ist es wahrscheinlich, daß diese Anwandlungen, obgleich unbedacht und ungeordnet, doch stets bedeutend und würdig waren, befolgt zu werden. Jeder fühlt in sich die Schattenbilder solcher Regungen eines plötzlich, ungestüm von nirgendher auftauchenden Gedankens. Es steht bei mir, ihnen einiges Gewicht beizumessen, der ich unserer Klugheit so wenig beimesse. Und ich habe dergleichen Regungen gehabt, die ebenso schwach an Gründen wie bezwingend in ihrem Zureden und Abmahnen waren, wie sie Sokrates häufiger aufsuchten, und habe mich von ihnen zu meinem Glück und Nutzen hinreißen lassen, daß man meinen sollte, sie hätten etwas von göttlicher Eingebung.  - (mon)

Eingebung (3)  Wie ein Garten geflochten mit Blumen ihr Angesicht : so warte ich, so stelle ich mir immer die Eingebung vor, aber sie kommt selten, erscheint mir so selten. Ich falle sogleich aufs Knie, Amaryllis an ihrem Scheitel, die Sonne fällt. Meine Sonne fällt : meine Eingebung fällt vor mich hin und fällt in mich ein, und ich sitze als Greis in schwalbenähnlicher Gestalt auf der Bettkante frierend in Fieberglut - - ob Vers oder Prosa darauf kommt es nicht an. Es kommt nur darauf an, wie sie angezogen sind, ich meine die Worte : die mir meine Eingebung eingibt, welche Art Knochenwerk sich da herausbilden will, darauf kommt es an, in Böen wechselt mein Sinn. Meine Erleibung ist meine Erleidung bis ich nicht mehr weiter kann : der Berg ist sehr steil, auch das kleine Stoßgebet hilft nicht weiter, Herzwiderstand kalbt. - Friederike Mayröcker, Magische Blätter II. Frankfurt am Main 1987 (es 1421)

Eingebung (4)  

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