Liana hat ein rotes Brokatkleid an. Die Herren in der Barzelona flüstern ihr Komplimente zu, obwohl es eigentlich keine Herren sind und die Damen der Herren, die nicht ganz richtig sind, sehen Liana lange in die Augen und die falschen Damen in der Barzelona flüstern Liana Komplimente zu wie die unrichtigen Damen und die uneigentlichen Herren.
- Liana ist siebzig oder achtzig oder vierzig. Ihr Freund, der Opernsängerschüler,
sagt, sie ist vierzig. - (
fich
)
»Sie haben mich durchschaut. Aber halten Sie die Ambiguität für eine bloße
Marotte? Bedenken Sie bitte, daß wir Zweihänder sind. Links und rechts, das
ist zwar leicht zu verwechseln, aber beileibe nicht dasselbe. Unsere Asymmetrie
hat auch ihre Vorteile. Es gehören zwei Hände dazu, sich zu waschen, ein Baby
zu wickeln oder einen Knopf anzunähen. Unsere Gesichtszüge sind nicht spiegelbildlich;
wenn jemand Ihr Paßbild kopieren und die beiden Seiten vertauschen wollte, würden
Sie sich in dieser Collage nicht wiedererkennen. Oder versuchen Sie einmal,
sich zuerst das eine und dann das andere Auge zuzuhalten. Sie werden feststellen,
daß Ihre Wahrnehmung stereoskopisch ist, und daß die Welt je nach ihrer Perspektive
anders aussieht. Auch das Gehirn soll ja, wie ich mir sagen ließ, zwei sehr
verschiedene Hälften haben. Aus alldem schließe ich, daß das Streben nach Eindeutigkeit
zwar verbreitet, aber zum Scheitern verurteilt ist.« - Hans Magnus Enzensberger, Herrn Zetts Betrachtungen
oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Berlin 2014
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