Ehrengast  Der Ehrengast aß langsam, methodisch und ohne jeden Kommentar.

Die Pute war mit Maden gespickt, der Salat war mit Wagenschmiere gewaschen, die Kartoffeln waren wieder ausgespuckt. Der Grapefruitbaum war wohl in einem Naphtalinboden gewachsen, die Pilze schmeckten nach Stahl, die Pastete nach Achselschweiß. Der Wein war mit demselben Recht Wein zu nennen wie das Permanganat.

Ohne den Kopf zu heben, aß Plume geduldig. Eine Schlange, die aus einer Bananenrispe gefallen war, kroch auf ihn zu; er verschlang sie aus Höflichkeit, dann vertiefte er sich wieder in seinen Teller.

Um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, entblößte die Dame des Hauses eine ihrer Brüste. Dann sah sie beiseite und lachte linkisch.

Ohne den Kopf zu heben, aß Plume noch immer.

„Wissen Sie, wie man ein Kind stillt?" fragte sie plötzlich erregt und schnaubte ihm zu. Aus Anstand schnaubte er leise zurück. Bald darauf geschah es, daß seine Nachbarin zur Rechten von einer Hammelzunge halb erstickt wurde, die zu verschlingen sie sich törichterweise in den Kopf gesetzt hatte. Man umgab die Schluchzende von allen Seiten mit aufmerksamer Betreuung. Ohne daß es so aussah, hielt ihr der eine die Nasenlöcher zu, während andere unter dem Vorwand, ihr zu helfen, ihr die Luftröhre zusammenpreßten. So konnte sie die Zunge niemals wieder von sich geben, auf die sie jetzt so gerne verzichtet hätte.

Und das Leben, das immer gleich bereit ist, das Spiel im Stich zu lassen, entglitt ihr schweigend.    - Henri Michaux, Plume und andere Gestalten. Wiesbaden 1981 (zuerst 1938)

Ehrengast (2)
 

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