Durst machen    Cossenlink verbrachte in dem winzigen Dachzimmer seine seltenste Ltebesnacht. Rosita war nicht nur unberührt gewesen, sie war auch in allen Künsten der Liebe unterrichtet worden, selbst den feinsten und letzten. So daß die volle erste Glut ihrer südlichen zwölf Jahre m absonderlichem Kontrast zusammentraf mit der Furcht, ungeschickt zu sein, und ihrem Stolz, wenn sie sicher war, es nicht gewesen zu sein. Erst gegen Mitternacht schien die Nimmermüde ein wenig zu ermüden.

Cossenlink verließ das Bett und holte den Wein und die Früchte, welche auf einem Stuhl neben der Tür lagen.

»Das macht Durst.« Rositas dünne silberne Vogelstimme klang jetzt weicher und tiefer. Sie wischte ihre Lippen, naß von Küssen, mit dem Leintuch trocken.

»Ja, das macht Durst.« Cossenlink, der bisher fast nicht-gesprochen, lediglich die Flut ihrer Liebesworte und Schreie genossen hatte, wußte nichts zu sagen.

Plötzlich bat sie ihn, ihr einen Namen aus seinem Land zu geben. Als Cossenlink verwundert nach dem Grund fragte, antwortete sie lächelnd, das sei so der Brauch; sie würde diesen Namen dem ihren hinzufügen und immer zur Erinnerung an diese Nacht führen.

Cossenlink schrieb den Namen, der ihm stets am besten gefallen hatte, auf das kleine gelbe Kärtchen, das sie ihm reichte, und zwar auf ihr ausdrückliches Verlangen in die Mitte: Daisy. Worauf sie mit unbeholfener Schrift >Rosita< davor und >Flores< dahinter schrieb.

Beide tranken und aßen und tranken mehr, als sie wollten, so wohl fühlten sie sich und außerstande, darüber zu reden. Aber der Wein wirkte schließlich doch. Rosita begann wieder zu plaudern. Zwar nicht mehr so harmlos und lustig wie auf der Fahrt im Ponny-Wagen, aber nicht weniger viel und bunt. Sie erzählte von ihrer Schwester Franchita, die beinahe schon die ganze Mitgift beisammen habe und auch nur mit sehr feinen Herren gegangen wäre, aber nur mit Schiffsoffizieren und mit manchen sogar vierzehn Tage. Sie selbst hätte auch geglaubt, ihr Erster würde ein Schiffsoffizier sein, und deshalb wäre sie auch zur Landung der Mauretania gekommen, aber zufrieden sei sie deshalb doch sehr und er solle bitte noch einige Tage bei ihr bleiben . . .

Cossenlink küßte sie und versprach, so lange mit ihr zu schlafen, als er noch in Spanien bliebe.

Und er hielt Wort. Während der vier Wochen, die er in Barcelona verbrachte, schlief er keine Nacht im Hotel. Aber auch tagsüber war er stets mit Daisy zusammen. Hand in Hand schlenderten sie durch die Straßen oder auf der langen Promenade, die von der Rambla bis Gracia reicht, oder sie ruderten auf dem Llobregat. Und sooft sie an La Seu vorbeikamen, der großen Kathedrale, trat Daisy unter das Portal und verrichtete ein kurzes Gebet. Und immer, wenn sie einer ihrer Jugendgespielinnen begegnete, bat sie Cossenlink, ein kleines Geldstück zu geben, und manchmal gingen sie zu dritt, ja auch zu viert ein Stück Weges oder traten in eine Trattoria.

Kurz vor seiner Einschiffung nach Tunis hatte Cossenlink große Unannehmlichkeiten mit der Polizei, die ihn, da er so häufig mit jungen Mädchen gesehen worden war, für einen Mädchenhändler hielt. Erst als er mit Hilfe des Ehepaares Flores nachgewiesen hatte, daß es sich nur um die allgemein tolerierte Familien-Prostitution gehandelt habe, ließ man ihn frei. Da sein Schiff den Hafen aber bereits verlassen hatte, verlebte er noch eine Woche glücklicher Tage an der Seite Daisys.  - Walter Serner, Daisy. In: W. S., Der Pfiff um die Ecke. München 1982  (zuerst 1925)

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